Aufgeregt, überzeugt und glücklich setzt sich Thomas Tuchel auf seinen Stuhl in den Katakomben des ehrwürdigen Wembley-Stadions. "Wembley ist das Herz, die Hauptstadt und die Kathedrale des Fußballs", rezitiert er Pelé. Wohl wissend, welcher Druck in Zukunft auf seinen Schultern lastet, stellt er sich den Fragen der Journalisten. Die Frage, die über allem steht: Kann England mit Tuchel endlich wieder einen Titel gewinnen?
Sein Ziel formuliert er klar und betont das Wir-Gefühl, das er auslösen möchte: "Wir versuchen einen zweiten Stern auf unser Trikot zu bekommen." Medialer Gegenwind und Fragen nach seiner Person scheinen ihm egal zu sein. Vielmehr ist Tuchel darum bemüht, den englischen Fans vom ersten Moment an zu signalisieren, dass er die Rolle als englischer Nationaltrainer komplett ausleben möchte und sich als Teil des Landes sieht - trotz deutschem Pass. Die internationale Klasse dafür hat er.
Tuchels Umgang mit großen Namen
Der englische Kader ist gespickt mit Topstars. Doch auch große Namen wie Harry Kane, Jude Bellingham oder Jack Grealish konnten unter Gareth Southgate nicht immer mit Leistung überzeugen. Tuchel bringt weit mehr Erfahrung im Umgang mit absoluten Topspielern mit als sein Vorgänger. Bei Dortmund, Paris, Chelsea und zuletzt Bayern München pflegte er stets einen besonderen Umgang mit seinen Stars wie Neymar, Kane oder Manuel Neuer.
Weniger Feingefühl wurde ihm hingegen bei vereinsinternen Diskussionen nachgesagt. Uli Hoeneß trat Anfang der Woche noch einmal gegen Tuchel nach und nannte ihn laut Berichten "eine Katastrophe" für den Verein. Harry Kane wurde zu den Gerüchten um die Verpflichtung seines Ex-Trainers ebenfalls zu dessen Person befragt. Er hatte hingegen nichts als lobende Worte für Tuchel und nannte ihn einen "fantastischen Trainer und einen fantastischen Menschen".
Mediales Kreuzfeuer
Schwieriger Charakter hin oder her: Thomas Tuchel hat seine Klasse bei all seinen Stationen fachlich bewiesen. Wenngleich er stets mit Nebengeräuschen gegangen ist. Das sorgt für unangenehme Fragen. Auch beim FC Bayern war sein Umgang mit den Medien wenig harmonisch. Seine turbulente Zeit in München hat ihn aber wohl noch abgebrühter gemacht.
Das erste titellose Jahr nach elf Saisons beim FC Bayern - wie viel mehr Druck kann schon kommen? In England begegnet ihm Skepsis, vor allem, weil er kein englischer Coach ist. Das Bild, was von ihm gezeichnet wird, ist dennoch ein weitaus positiveres als in Deutschland. In englischen Medien wird Tuchel deutlich charismatischer und humorvoller gesehen und weniger kalt als in Deutschland.
Zum Siegen verdammt
Nach dem Chaos, was Tuchel zuletzt beim FC Bayern erlebt hat, geht es nun also nach England. Dem Land, das sich wie kaum eine andere Nation so sehr nach einem internationalen Titel sehnt. 58 Jahre dauert die Durststrecke seit dem letzten und einzigen WM-Titel nun schon an. Die Messlatte liegt beinahe auf Mount-Everest-Niveau. Zwei EM-Finals und zwei WM-Halbfinals erreichten die "Three Lions" unter Southgate. Das Ziel für Tuchel und sein Team kann deswegen nur der WM Triumph 2026 sein.
Auf der großen Fußballbühne fühlt Tuchel sich wohl. Auch wenn er es beim FC Bayern nicht geschafft hat, seine Spielweise konstant auf dem Platz zu etablieren und das Minimalziel Meisterschaft vergangene Saison nicht erreicht hat. Im DFB-Pokal und in der Bundesliga lief es nicht gut für ihn. Trotzdem überzeugten sein Team im Champions-League-Halbfinale gegen Real Madrid. Er lässt pragmatischen und ergebnisorientierten Fußball spielen. Er ist kein Guardiola. Aber er hat anders als Southgate auch schon internationale Erfolge vorzuweisen und Erfahrung im Umgang mit Druck hat er auch – spätestens seit seinem FCB-Engagement.
"Für Thomas ist es super, für den englischen Fußball ist es eine sehr gute Wahl. Aus deutscher Sicht ist es gefährlich. Mit der englischen Mannschaft und Thomas als Trainer ist es ein gefährlicher Gegner." Max Eberl, Sportvorstand FCB
Englands spannende Wahl
Ein Deutscher an der Spitze des englischen Fußballs - eine spannende Wahl des englischen Verbands (FA). Offen bleibt, wie geduldig Tuchel seine neue Herausforderung angeht, wenn er seine Spieler anders als im Verein nur alle paar Monate sieht. Die Frage, die die englische Presse weiter beschäftigen wird, ist, ob Tuchel das Land hinter der Mannschaft vereinen kann, ähnlich wie hierzulande Julian Nagelsmann vor der Heim-EM.
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