Ein Schüler schaut bei seinem Sitznachbarn ab. Unangekündigte Tests, sogenannte Exen, sind aus wissenschaftlicher Sicht nicht sinnvoll.
Bildrechte: BR/Julia Müller
Audiobeitrag

(Symbolbild) Sind unangekündigte Tests, Exen und Abfragen noch zeitgemäß? Wir haben bei Erziehungswissenschaftlern nachgefragt.

Audiobeitrag
> Wissen >

Exen: Laut Studien spricht nichts für unangekündigte Tests

Exen: Laut Studien spricht nichts für unangekündigte Tests

Ist es sinnvoll, Schülerinnen und Schüler ohne Ankündigung im Unterricht zu testen – mit Abfragen oder sogenannten "Exen"? Darum tobt in Bayern seit einem halben Jahr ein heftiger Streit. Welche Argumente lassen sich wissenschaftlich belegen?

Der Bayerische Philologenverband will an unangekündigten kleinen Prüfungen wie Abfragen und Exen festhalten. Solche Tests seien ein pädagogisches Instrument, das auf die "Leistungsgesellschaft vorbereite." Auch der Bildungsforscher Prof. Klaus Zierer (externer Link) verteidigt die Stegreifaufgaben ähnlich als "Vermittlung einer Alltagskompetenz".

Fürs spätere Leben: Unbelegte Meinung

Diese beiden Aussagen sind keine Tatsachen, sondern Meinungen. Denn es gibt bislang keine Studie, die einen positiven Effekt von unangekündigten Leistungsnachweisen auf das spätere Leben oder Berufsleben belegt. Als Argument gegen Exen führt der Bayreuther Schulpädagoge Prof. Ludwig Haag an, dass im späteren Leben "weder an der Uni noch beim Führerschein noch im Arbeitsleben" Prüfungen unangekündigt erfolgten.

Größerer Lernerfolg dank Exen?

Ein zweites Argument, das von Extemporale-Befürwortern immer wieder aufgeführt wird: Aufgrund der Drohkulisse möglicher Exen oder Abfragen würde kontinuierlich gelernt. Diese Regelmäßigkeit fördere den Lernerfolg. Tatsächlich gibt es auch für dieses Argument keine stichhaltigen Belege. Im Gegenteil: Ludwig Haag machte vor drei Jahren eine den wissenschaftlichen Standards entsprechende Studie mit zehn Schulklassen der Oberstufe (externer Link). Fünf davon mussten unangekündigte Exen schreiben, bei den anderen fünf Klassen wurden die Leistungsnachweise vorher angekündigt. Die Prüfungsergebnisse haben sich kaum unterschieden.

Aber: "Bei beiden haben wir neben den Leistungen auch die Lernfreude und die Prüfungsangst getestet. Die Ergebnisse waren ziemlich gleich, aber viel entscheidender: Die Jugendlichen mit angekündigten Leistungsnachweisen haben von weniger Angst gesprochen", erzählt Haag.

Angst oder Lernfreude: Was bildet besser?

Es gibt bislang nur die schon erwähnte Studie von Haag, die sich wissenschaftlich fundiert mit unangekündigten Exen im Schulalltag beschäftigt. Und ihr wesentliches Ergebnis ist, dass viele Schülerinnen und Schüler bei drohenden Exen Angst empfinden. Die Praxis, Leistungskontrollen nicht anzukündigen, stärke die Ängstlichkeit von Schülern, verringere ihre Freude am Lernen und schwäche die Leistungsfähigkeit, so die Studie. "Angst ist ein schlechter Lehrmeister", sagt Ludwig Haag.

Der 16-jährige Max hat wegen unangekündigten Tests sogar die Schule gewechselt. Er ist an das Gymnasium Freiham gegangen, an dem Leistungsnachweise vorher angekündigt werden. Er erklärt, "dass es entspannter ist mit dem Lernen und sicherer, dass man sich auf die Noten vorbereiten kann. Und nicht, dass der Lehrer, wenn er gerade einen schlechten Tag hat, eine Ex raushaut und die Schüler aufs Korn nimmt."

Motivieren statt Drohen

Unangekündigte Leistungsnachweise bringen keinen wissenschaftlich fundierten Mehrwert. Sie führen nicht zu besseren Ergebnissen oder zu mehr Wissen. Stattdessen verursachen sie zweifellos bei einem Teil der Schüler Ängste. Diese Ängste mindern die Freude am Lernen und schwächen die Leistungsfähigkeit. Das besagt eine umfassende Meta-Analyse des Neuseeländischen Bildungsforschers John Hattie (externer Link). Er belegt klar, dass Angst ein demotivierender Faktor ist.

Die Motivation der Schüler sollte von Lernfreude kommen und nicht von Angst, so Hattie. Gute Schule kommt durch einen Unterricht, der die Kinder abholt. Michael Stierstorfer vom Gymnasium Schäftlarn hat auf Vorschlag seiner Schülerinnen und Schüler vor kurzem den Deutschen Lehrkräftepreis bekommen. Auch für seine Lernvideos auf Social Media. "Um Schüler zu erreichen, muss man sich in ihre Lage versetzen und Themen einbeziehen, die denen gerade unter den Nägeln brennen. Man holt sie damit in ihrer Lebenswelt ab", erläutert Stierstorfer.

Gute Lehrkräfte, ergänzt Justin Infantado vom Landesschülerrat Bayern, "erkennen, dass jeder anders lernt. Sie hören zu, unterstützen uns individuell und begegnen uns auf Augenhöhe. Sie zeigen, dass Lernen auch Spaß machen kann."

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!