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"Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich habe keine Lust, mir Corona einzufangen und dann noch ein Long Covid obendrauf zu satteln, auf das, was ich schon alles habe." Das sagt BR24-Userin "Nussschnecke" am Telefon. Ihren echten Namen möchte sie hier nicht lesen.
Die Kauffrau aus dem Münchner Umland kommentierte kürzlich mehrfach unter dem Beitrag "Mit Corona ins Büro? Welche Regeln gelten" – und schrieb unter anderem: "(...) Ich mache mir da keine Illusionen – als Mensch mit eingeschränktem Immunsystem aufgrund Vorerkrankung bin ich Freiwild. Da muss keine Rücksicht mehr genommen werden, 'ist ja nur 'ne Erkältung'. Was soll ich tun? Kündigen, von Bürgergeld leben und mich zuhause einschließen? Eigenverantwortung ist für mich das Unwort des Jahrhunderts."
"Zuhause bleiben" vs. "ist doch nur ein Schnupfen"
299 Kommentare kommen insgesamt unter dem Beitrag zusammen – und zwei Sichtweisen werden deutlich. Einige schreiben: "Wenn man krank ist, bleibt man zu Hause." Manche aber finden: "Wegen einer laufenden Nase bleibt man doch nicht zuhause." "Realistin" verwies auch auf die wirtschaftliche Perspektive und auf Handwerkerdienste oder Geschäfte, die sonst ausfielen oder geschlossen blieben.
BR24-Nutzer "Spatzl" formulierte es wiederum so: "Wer krank ist, sollte einfach zuhause bleiben. Dafür braucht es auch keinen Test! Ein bisschen Schnupfen ist für mich noch nicht krank. Jeder sollte in der Lage sein, es für sich selbst einzuschätzen, ob er arbeiten kann oder nicht. (...)" Darauf reagierte "Nussschnecke": "Sehen Sie, da liegt der Fehler. Was für den einen ein bisschen Schnupfen ist, kann für den anderen eine schwerwiegende Erkrankung auslösen. (...)"
Mit geschwächtem Immunsystem anfälliger als andere
Userin "Nussschnecke" hat ein eingeschränktes Immunsystem. Ende 2019 erhielt sie die Diagnose Leukämie. Es folgten Chemotherapie und eine erfolgreiche Stammzellentransplantation. Seit 2021 arbeitet sie wieder, oft im Homeoffice.
Aufgrund einer Folgereaktion aus der Stammzellentransplantation nimmt sie Medikamente: "Das heißt, ich habe nicht das Immunsystem eines gesunden Menschen." Daran könne man auch nichts ändern: "Ich kann mein Immunsystem nicht durch kalte Bäder, Ingwershots oder sonst etwas stärken, sondern es ist, wie es ist. Ich bin anfälliger als andere Menschen." Rücksichtnahme in der Öffentlichkeit ist daher für sie wichtig.
Zu den Menschen mit geschwächtem Immunsystem gehören neben Krebspatienten und chronisch Kranken auch Personen, die Medikamente nach einer Organtransplantation nehmen müssen. Sie haben einen erworbenen Immundefekt. Andere haben einen angeborenen Immundefekt. Für sie setzt sich Gabriele Gründl, Gründerin der Patientenorganisation dsai, seit Jahrzehnten ein.
Laut Gründl fehlt eine offizielle Datenbank zu Immundefekten. Ihrer Schätzung nach gibt es in Deutschland mindestens 100.000 Betroffene mit angeborenem Immundefekt – die meisten, vor allem Erwachsene, seien aber nicht diagnostiziert. Was häufig einen langen Leidensweg bedeute.
Der eine niest, der andere bekommt eine Lungenentzündung
Gleichzeitig sieht man Betroffenen auch nicht immer an, dass sie einen Immundefekt haben. Manche wollen sich auf der Arbeit auch nicht outen, erzählt Gründl. Aber man sollte nicht nur an die direkten Kollegen denken: "Es kann durchaus sein, dass man jemandem mit Immunschwäche auf dem Weg zur Arbeit begegnet", so die dsai-Bundesvorsitzende.
Den Punkt, den Gründl und die BR24-Nutzerin betonen: Aus einem Schnupfen für den einen, kann für den anderen viel mehr werden. "Lungenentzündungen, Bronchitis, Sinusitis. Es ist ganz breit gefächert, je nachdem, welche Schwachstelle der Patient in seinem Körper hat", so Gründl.
Auch das Robert Koch-Institut betont: Wer niest oder hustet, kann andere anstecken. Bei Corona und Influenza kann man auch vor Symptombeginn ansteckend sein.
"Ich achte darauf, wer mir auf die Pelle rückt"
Userin "Nussschnecke" machte in den vergangenen zwölf Monaten drei Infekte mit Fieber und Antibiotika durch, zweimal musste sie dabei ins Krankenhaus. Um sich zu schützen, trägt sie gerade in der Erkältungssaison draußen Maske. Und: "Ich achte darauf, wer mir auf die Pelle rückt. Denn das Abstandhalten fand ich sehr angenehm während der Corona-Pandemie. Ich schiebe gerne mal meinen Einkaufswagen zwischen mich und die Menschen, wenn ich das Gefühl habe, der klebt mir jetzt gleich in der Hosentasche." Sie schaut zudem, wer besonders stark "rotzt und hustet, dann kann es auch passieren, dass ich aussteige und die nächste Bahn nehme, oder mich einfach woanders hinsetze".
Sie macht keinen Hehl daraus: Früher, vor Corona, sei auch sie krank unterwegs gewesen. "Ich verstehe die Menschen, die wieder ihr Leben zurückhaben wollen, so wie es war. Aber es gibt eine neue Erkrankung und die ist nun mal nicht nur eine Erkältung." Für Menschen mit Vorerkrankung könne "eine schwere Erkrankung daraus werden und vor allem kann es langfristige Folgen haben".
Appell an die Vernunft
Die BR24-Nutzerin resigniert mittlerweile eher: "Ich schütze mich so gut, wie ich kann, aber ich erwarte von den anderen nichts mehr." Gründl fordert derweil weiterhin mehr Aufklärung über Immundefekte und das Immunsystem überhaupt. Und man müsse an die Vernunft appellieren: "Bleibt doch zu Hause, wenn ihr euch nicht wohlfühlt und denkt an die anderen, die sich anstecken können, die eben nicht nur dann einen Schnupfen haben, sondern eine Lungenentzündung bekommen können."
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