Corona-Politik, Flugblattaffäre, Bauerndemos – über die Jahre hat es immer wieder geknirscht in der Koalition aus CSU und Freien Wählern. Einigkeit zwischen den Partnern herrschte stets bei der Kritik an der Berliner Ampel. Nun ist diese Geschichte, in Berlin regiert die CSU mit. "Das ist für mich natürlich eine etwas andere Spielformation als vorher, als es gemeinsam gegen Rot-Grün ging", sagt dazu Vize-Ministerpräsident und Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger im BR-Interview. Für die Freien Wähler bedeute dies, dass sie jetzt die Union "immer wieder daran erinnern können, liefern zu sollen".
In der neuen Konstellation sieht Aiwanger für sich "mehr Chancen als Risiken": Er könne über die CSU leichter Themen in Berlin platzieren und werde als bayerischer Wirtschaftsminister mehr Einfluss haben – sofern die CSU konstruktiv agiere. "Es ist natürlich zu befürchten, dass die CSU aus parteitaktischen Gründen versucht, uns nicht zu sehr als Freie Wähler ins Spiel kommen zu lassen und vieles lieber über die CSU-Schiene steuert."
Aiwanger: Realität wird die CSU einholen
Aiwanger geht davon aus, dass es für die CSU im Freistaat künftig schwieriger wird. Da Ministerpräsident Markus Söder als CSU-Chef jetzt auch in Berlin in Verantwortung sei, müsse er Ergebnisse vorweisen: "Mit Schimpfen kommt man jetzt nicht mehr weiter."
Zwar habe die CSU es bei früheren Regierungsbeteiligungen im Bund immer wieder geschafft, in Bayern so zu tun, als wäre sie Opposition zu Berlin. Dieses Mal werde es Söder und seiner Partei aber schwerfallen, den Eindruck zu erwecken, dass sie mit Berlin nichts zu tun haben. Die Realität werde die Christsozialen vielfach einholen.
"Der Kluge gibt nach"
Mit Blick auf Spannungen zwischen Union und SPD im Bund erwartet Aiwanger von den Christsozialen die Einsicht, "dass sie froh sein müssen, dass es uns in Bayern gibt". Im Streit über die Schuldenbremse vor zwei Monaten hätten die FW im Interesse Bayerns einen Gesichtsverlust in Kauf genommen, um die Koalition zu retten: "Der Kluge gibt nach." Dafür müsse die CSU dankbar sein.
Die Freien Wähler hatten zunächst Widerstand gegen die schwarz-roten Schuldenpläne angekündigt, letztlich aber ein "Ja" Bayerns im Bundesrat doch ermöglicht.
Aiwanger: CSU provoziert
Enttäuscht zeigt sich Aiwanger über den Umgang der Christsozialen mit den Freien Wählern. Die CSU versuche ständig, zu provozieren. Das sei seit den Anfängen der schwarz-orangen Koalition "gelebte Realität". Er verzichte aber darauf, "immer eins zu eins zurückzuschießen".
Dabei gäbe es Anlass genug, täglich auf mehrere CSU-Minister loszugehen, sagt Aiwanger und zählt Beispiele mit Bezug zu seinen Kabinettskollegen Georg Eisenreich (Justiz), Christian Bernreiter (Bau und Verkehr) und Michaela Kaniber (Landwirtschaft) auf: "Von den Vorkommnissen in den Gefängnissen bis hin zu den Bauprojekten von Bernreiter, bis hin zu Ökolandwirten, die sich beschwert haben über Frau Kaniber." Wenn er CSU-Minister darauf anspreche, fühlten diese sich ertappt, dass sie "unfair spielen".
Trotzdem hält Aiwanger Schwarz-Orange für stabiler als Schwarz-Rot im Bund. "In Bayern haben wir den Vorteil, dass wir zwei Parteien aus demselben politischen Weltbild heraus haben." In der Berliner Koalition seien ideologische Gräben sichtbar. "Immer wenn es hart auf hart kommt, dann werden sehr schnell die Gräben aufbrechen."
Blume reagiert diplomatisch
CSU-Wissenschaftsminister Markus Blume reagiert auf BR-Anfrage ausweichend auf die Kritik seines FW-Kollegen. Es mache einen Unterschied, wer regiert: "Die Tatsache, dass die CSU wieder am Kabinettstisch in Berlin vertreten ist, bedeutet: Bayerische Interessen werden dort ab sofort wieder kraftvoll wahrgenommen."
Man könne nur von Glück sagen, dass Themen wie "Ordnung, Heimat und Hightech" nun mit CSU-Bundesministern besetzt seien, sagt Blume. Dass es für Bayerns Politik wieder "unmittelbare Ansprechpartner in Berlin gibt, die für unsere Interessen aufgeschlossen sind", sei durch nichts zu ersetzen.
Aiwanger will diesen direkten Draht intensiv nutzen: "Steuersenkungen für die Industrie, Wasserstoff und so weiter – da habe ich spontan viele Ideen, wo ich von der Union erwarte, dass sie liefern soll."
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