Der bayerische Digitalminister Fabian Mehring (Freie Wähler) fordert von der Politik "mehr Mut" auf dem Weg zu einer digitalen Verwaltung: Statt langfristig neben digitalen Verwaltungswegen auch noch Papieranträge in Behörden anzubieten, sollten bis 2030 analoge Verfahren komplett abgeschaltet werden, sagte der Minister am Montag anlässlich des "Digital-Dialogs" der Staatsregierung.
Bislang bedeute Digitalisierung in Deutschland, dass zusätzlich zum analogen Verwaltungsweg eine digitale Alternative angeboten werde. Einsparungen könne es aber nur durch die Abschaffung von Doppelstrukturen geben. Zudem will Mehring so die Digitalisierung beschleunigen: "Zug kriege ich erst ins System, wenn ich sage: Der analoge Prozess endet. Der hat eine Halbwertszeit, der hat ein Ablaufdatum."
Mehring: Kein Grund zur Sorge, dass Ältere abgehängt werden
Mehring verweist auf den Digitalisierungsvorreiter Estland: "Die sind nicht so viel digitaler oder klüger als Deutschland." Estland habe vielmehr vor zehn Jahren den Mut gehabt, ein Datum für den Ablauf der analogen Prozesse zu setzen. Dem Minister zufolge muss dann auch niemand Angst haben, dass die ältere Generation abgehängt würde. Entsprechende Vorwürfe seien "großer Unsinn". Mit den Einsparungen könnte man laut Mehring "jeder über 70-jährigen und jedem über 70-jährigen Bayern einen eigenen Staatsbeamten 24/7 beiseitestellen, der ihn rund um die Uhr bei der Digitalisierung betreut".
Bereits im Februar hatte der Minister ein solches "Mehring-Datum" verlangt: "Der Zugzwang-Effekt einer solchen Maßnahme würde sofort Wirkung zeigen – ganz egal, ob 2027, 2028 oder von mir aus 2030 in den Blick genommen wird."
Füracker skeptisch
Finanzminister Albert Füracker (CSU), dessen Haus für die IT-Infrastruktur der staatlichen Verwaltung in Bayern zuständig ist, spricht von einer "altbekannten" Forderung. "Die Einführung einer Frist beziehungsweise neuer Vorgaben in Zeiten der Entbürokratisierung digitalisiert aber noch längst keinen Prozess", sagt Füracker auf BR-Anfrage. Der Freistaat digitalisiere schon seit Jahren erfolgreich Prozesse. "Unsere Erfahrungen, unser Know-how und unsere vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Kommunen bestärken uns, den Fokus auf unseren eingeschlagenen und bewährten Weg zu behalten."
Der Grünen-Digital-Experte im Landtag, Benjamin Adjei, sieht viele Fragezeichen: "Digitalminister Mehring will bis 2030 nur noch digitale Behördenleistungen. Klingt im ersten Moment gut, doch die Umsetzung bleibt völlig unklar. Kein Wort dazu, was das für die Bürgerinnen und Bürger konkret bedeutet."
VdK: Analoger Weg muss bleiben
Der Sozialverband VdK Bayern mahnt, bei der Digitalisierung müssten grundsätzlich alle Bevölkerungsgruppen mitgenommen werden. "Das gilt in besonderem Maße für ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen und benachteiligte Menschen", sagt die Leiterin Sozialpolitik beim VdK, Claudia Spiegel. Ihnen digitalisierte Abläufe bei sämtlichen Behördengängen ohne Vorbereitung aufzuzwingen, sei "weder sozial noch umsetzbar". Menschen, die mit modernen Techniken nicht vertraut seien, müssten geschult werden und bräuchten auch die nötige Ausstattung: "Vor allem Menschen mit niedrigen Einkommen stehen hier vor Hürden, sich elektronische Geräte, Software und einen Internetzugang anzuschaffen."
Wichtige Anwendungen wie Behördengänge müssten für alle Menschen niederschwellig nutzbar sein, verlangt Spiegel. Daher müsse es immer eine analoge Variante für Menschen geben, "die digitale Möglichkeiten nicht nutzen können oder auch wollen".
Estland: Kein konkretes Ablaufdatum
Genau so ist es bis heute in Estland, wie das dortige Justiz- und Digitalministerium auf BR-Anfrage mitteilt: "Es gab in Estland nie ein konkretes 'Ablaufdatum' für analoge Dienstleistungen." Es seien schrittweise neue digitale Dienstleistungen entwickelt, gleichzeitig aber stets analoge Alternativen beibehalten worden, um die Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. "Die überwiegende Mehrheit der Dienstleistungen ist digital verfügbar, aber nicht ausschließlich digital."
So sei es weiterhin auch in Servicezentren und Behörden möglich, Ausweisdokumente oder den Zugang zu Sozialleistungen zu beantragen. Grundprinzip sei, dass niemand zurückgelassen werden dürfe – auch Menschen nicht, die "keine digitalen Kanäle nutzen können oder möchten". Trotzdem habe die breite Nutzung digitaler Dienste zu erheblichen und messbaren Einsparungen geführt.
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