Ein deutscher Reisepass (Symbolbild)
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Wie konnte der Amokläufer von Ansbach bei einem Ausgang aus einer forensischen Klinik einen Pass beantragen und damit bis nach Kolumbien fliehen?
Bildrechte: picture alliance / Panama Pictures | Christoph Hardt
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Wie konnte der Amokläufer von Ansbach bei einem Ausgang aus einer forensischen Klinik einen Pass beantragen und damit bis nach Kolumbien fliehen?

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Behördenversagen? Warum der Amokläufer einen Reisepass bekam

Behördenversagen? Warum der Amokläufer einen Reisepass bekam

Wie konnte der Amokläufer von Ansbach bei einem Ausgang aus einer forensischen Klinik einen Pass beantragen und damit bis nach Kolumbien fliehen? Hätte der Mann den Pass überhaupt bekommen dürfen? Und hätte die Klinik Bescheid wissen müssen?

Über dieses Thema berichtet: Frankenschau aktuell am .

Seit sieben Jahren ist der Mann im Bezirksklinikum in Erlangen therapiert worden. Zuvor saß er wegen des 2009 verübten Amoklaufs an einem Ansbacher Gymnasium neun Jahre in Haft. Zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft hatte er bereits einige Lockerungen erfahren. Dann besorgte er sich bei einem Ausgang einen Reisepass, bei einem weiteren reiste er nach Kolumbien. Dort wurde er drei Wochen später verhaftet und vor wenigen Tagen zurückgebracht. Jetzt sitzt er in der geschlossenen Abteilung. Aber hätte er das Dokument überhaupt erhalten dürfen?

Nach Angaben seines Anwaltes wurden dem Mann zuletzt 30 Stunden pro Woche unbegleiteter Ausgang gewährt. Aus der Bezirksklinik heißt es, austherapiert sei er aber noch nicht gewesen. Es hätten noch Lockerungen bevorgestanden. Erst Mitte des Jahres sei die Unterbringung des Mannes in der Forensik von einem Gericht um ein weiteres Jahr verlängert worden, heißt es von der Staatsanwaltschaft.

Klinik: Jeder Ausgang mit Ärzten vorbesprochen

Jeder Ausgang sei von Ärzten mit dem Patienten vorab besprochen worden, so eine Sprecherin der Bezirksklinik auf Nachfrage. Jedes Mal sei das geplante Ziel des Ausfluges, der Grund, sowie die Wahl des Verkehrsmittels abgefragt worden – so auch am 16. August, als der Mann zuletzt für rund zwölf Stunden die Klinik verlassen durfte.

Im Februar hatte sich der Mann bei einem dieser Ausgänge im Passamt der Stadt Erlangen einen Reisepass besorgt. Ob er das zuvor angekündigt hatte, ist unklar.

Ausgang auf Vertrauensbasis zur Erprobung des Alltags

Der Ausgang diene der Erprobung des Alltags und sei ein wichtiger Teil der Therapie. Er beruhe auf Vertrauen, Einschränkungen stünden dem entgegen, heißt es aus der Klinik.

Erst im Nachhinein, also wenn sich ein Patient unterwegs etwas zu Schulden kommen ließe, könne die Klinik reagieren und die Lockerungen zurückfahren, künftige Ausgänge verkürzen oder streichen. Im Bezirksklinikum ist man daher sicher, keinen Fehler gemacht zu haben. Auch Kontrollbehörden hätten das Vorgehen der Klinik nicht beanstandet.

Keine Passversagung im Passregister vermerkt

Hätte also das Passamt der Stadt Erlangen reagieren müssen? Auf Nachfrage heißt es dort, grundsätzlich habe jeder deutsche Staatsbürger ein Recht auf einen Ausweis. Das Passgesetz sehe nur wenige Ausnahmen vor, in denen ein Pass verweigert werden dürfe. Das bestätigt auch das Bayerische Innenministerium.

Eine solche Ausnahme könnte laut Gesetz sein (externer Link), dass sich der Antragssteller einer Strafverfolgung oder einem Maßregelvollzug entziehen will. Der Amokläufer befand sich im Maßregelvollzug. Handelt es sich also doch um Behördenversagen?

Juristen weisen in zahlreichen Kommentaren auf einen wichtigen Nebensatz des Passgesetzes hin. Darauf nämlich, dass Anhaltspunkte für eine bevorstehende Flucht vorliegen müssen. Alleine die Inhaftierung oder Unterbringung in der Forensik reiche demnach für eine Passversagung nicht aus. Von der Staatsanwaltschaft heißt es, läge ein derartiger Verdacht vor, würde wohl kaum ein unbegleiteter Ausgang genehmigt. Im vorliegenden Fall habe es keinerlei Anhaltspunkte für eine geplante Ausreise gegeben. Folglich erklärt auch ein Sprecher der Stadt: "Im konkreten Fall war im Passregister keine Passversagung oder -entziehung vermerkt."

"Nicht gestattet, nach Gründen zu fragen"

Auch die Meldeadresse musste den Mitarbeiter demnach nicht stutzig machen. Für eine bestimmte Adresse könne es schließlich unterschiedliche Gründe geben, so Erlangens Stadtsprecher. "Der Passbehörde ist es nicht gestattet, nach diesen Gründen zu fragen."

Der Anwalt des Amokläufers weist darum darauf hin, dass sein Mandant sich mit der Reise nach Kolumbien nicht einmal strafbar gemacht habe. Sein Ausflug sei auch keine Flucht, sondern lediglich ein Verstoß gegen die Hausordnung des Bezirksklinikums und ein Missbrauch der Lockerungsmaßnahmen gewesen. Über die Konsequenzen müssten daher Ärzte entscheiden.

Innenminister Herrmann: Veränderungen denkbar

Und dennoch: Dass ein Mann mit dieser Vorgeschichte an einen Reisepass kam und völlig unbemerkt ausreisen konnte, wirft auch bei den Behörden Fragen auf. "Das sind Dinge, wo wir auch für die Zukunft überlegen müssen, ob das jedem Freigänger so ermöglicht werden soll", kündigte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) im Gespräch mit BR24 an. Auf Anfrage in seinem Ministerium heißt es, Änderungen an der Praxis seien nach diesem Vorfall denkbar. Man wolle zunächst aber die Aufklärung des Falls abwarten.

Video: Ansbacher Amokläufer in Kolumbien festgenommen

Die Einrichtung aus der der Ansbacher Amokläufer entflohen ist.
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Ansbacher Amokläufer in Kolumbien festgenommen

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