Der Vorsitzende des Bayerischen Städtetags, Straubings Oberbürgermeister Markus Pannermayr (CSU), wertet den gestrigen Rücktritt des Dingolfinger Bürgermeisters als "Alarmsignal". In einer am heutigen Mittwoch veröffentlichten schriftlichen Mitteilung macht der Bayerische Städtetag deutlich, dass der Fall Dingolfing nur die Spitze des Eisbergs ist. Seit Jahren sei zu beobachten, wie das gesellschaftliche und politische Klima härter werde.
Fälle von Anfeindungen und Bedrohungen häufen sich
"In Rathäusern mehren sich Fälle von Beleidigungen, Anfeindungen und Drohungen. Betroffen sind Mandatsträgerinnen und Mandatsträger sowie Mitarbeitende – auch mit ihrem privaten Umfeld, mit Ehepartnern und Kindern." Was mit Beleidigungen beginne, könne rasch in Gewalt enden.
Städtetag: "Gesellschaft muss Übergriffe solidarisch zurückweisen"
"Beleidigungen und Übergriffe dürfen nicht hingenommen werden, sondern müssen konsequent zur Anzeige kommen. Und besonders wichtig ist, dass die Gesellschaft zusammensteht und dies solidarisch zurückweist", erklärte Pannermayr. Es sollten sich alle Gedanken machen, "wie wir miteinander im Alltag umgehen". Debatten müssten sachlich bleiben, persönliche Angriffe und Beleidigungen dürften in Diskussionen keinen Raum gewinnen.
Kommunalwahl 2026: "Kandidaten nicht zur Zielscheibe werden"
"Wir müssen wachsam bleiben, besonders mit Blick auf die Kommunalwahl 2026", sagt Pannermayr. Kandidatinnen und Kandidaten für kommunale Mandate dürften nicht zur Zielscheibe werden. Zu einem Mandat gehöre es auch nicht, Beleidigungen und Hetze aushalten zu müssen, so der Städtetags-Chef, der selbst in Niederbayern - nämlich in Straubing - Oberbürgermeister ist.
"Unsägliche" persönliche Angriffe
Ähnlich äußert sich Uwe Brandl, Präsident des Bayerischen Gemeindetages und früherer Bürgermeister im niederbayerischen Abensberg: "Wir sind in Gedanken bei Armin Grassinger und seinen Angehörigen. Die persönlichen Bedrohungen und Angriffe gegen unseren geschätzten Kollegen und seine Familie sind unsäglich und müssen mit aller Härte verfolgt werden."
Gemeindetag verurteilt Verrohung der Diskussionskultur
Laut Brandl brauche es eine Diskussion in Politik, Justiz und Zivilgesellschaft zur Streitkultur. Gegen deren Feinde müsse man vorgehen. Die Verrohung der Diskussionskultur und die Zunahme tätlicher Angriffe seien besorgniserregend.
Brandstiftung? Ermittlungen wegen politisch motivierter Straftat
Armin Grassinger (Unabhängige Wählergemeinschaft Dingolfing/UWG) war gestern als Bürgermeister von Dingolfing zurückgetreten – "nach monatelangen Anfeindungen und Bedrohungen" gegen sich und seine Familie, wie der 48-Jährige schriftlich erklärte. Weiter wollte sich Grassinger bisher nicht äußern.
Nach BR-Informationen war bei einem Brand Mitte Oktober der Dienstwagen des Bürgermeisters, ein BMW 7er, zusammen mit einer Scheune, neben der das Fahrzeug geparkt war, in Flammen aufgegangen.
Die Polizei vermutet Brandstiftung und sucht Zeugen. Wie der Bayerische Rundfunk vergangene Woche von der Staatsanwaltschaft Landshut erfuhr, laufen die Ermittlungen in dem Fall auch in Richtung einer politisch motivierten Straftat. Auf Anfrage schloss die Staatsanwaltschaft einen Anschlag auf Grassinger als Bürgermeister nicht aus, hat aber bislang keine konkreten Hinweise auf eine politische Motivation.
Was andere Kommunalpolitiker sagen
In den sozialen Netzwerken haben sich auch andere bayerische Politiker zum überraschenden Rücktritt des Dingolfinger Bürgermeisters geäußert.
Die niederbayerische SPD-Landtagsabgeordnete Ruth Müller schrieb auf Instagram: Kein Amt sei es wert, sich und seine Familie zu gefährden. Aber:
"Gerade jetzt vor der Kommunalwahl, wo sich wieder Kandidatinnen und Kandidaten bereit erklären, sich in ihrer Kommune - meist ehrenamtlich - für ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger zu engagieren, ist der Rücktritt von Bürgermeister Grassinger ein fatales Signal für die Wertschätzung gegenüber Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern." Ruth Müller, SPD
Matthias Kohlmayer, Bürgermeister der Nachbarstadt Landau an der Isar, ("Landau Gefällt Mir", LGM), schreibt auf Facebook, er sei gerade am Dienstagabend vom Martinsumzug mit seinem Sohn nach Hause gekommen - einer Tradition, in der es um Werte wie Respekt und achtsamen Umgang miteinander gehe. "Am selben Abend erreicht uns die Nachricht, dass unser Kollege in Dingolfing zurücktreten muss, weil er und seine Familie bedroht werden. Ich bin fassungslos. Bitte passen wir aufeinander auf."
Stephan Protschka, Landesvorsitzender der AfD in Bayern und gebürtiger Dingolfinger, schreibt auf Facebook: "Ich habe größtes Verständnis und tiefes Mitgefühl für Herrn Grassinger und seine Familie. Niemand, der sich ehrenamtlich oder hauptamtlich für seine Gemeinde engagiert, sollte in einem solchen Klima der Angst leben müssen." Protschka betonte außerdem, besonders in ländlichen Regionen, wo Zusammenhalt, Nachbarschaft und Ehrenamt eigentlich großgeschrieben werden, sei es empörend und traurig, dass Menschen, die Verantwortung übernehmen, Zielscheibe von Hass und Gewalt werden.
Johannes Becher, Fraktionsvorsitzender der Grünen im bayerischen Landtag, richtet auf Instagram einen deutlichen Appell: "Lasst uns diesen Fall als Beispiel nehmen, dass die Gesellschaft wieder zusammenrücken muss" - auch bei Meinungsverschiedenheiten. "In den Farben getrennt, in der Sache vereint!"
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