Es ist ein grauer Oktobertag in Balzhausen, als Minister Hubert Aiwanger mit Vertretern des Energiekonzerns Lechwerke (LEW) den symbolischen Startknopf drückt. Der Moment ist unspektakulär, das Thema aber zukunftsträchtig. Es geht um die beschleunigte Einspeisung erneuerbarer Energien ins Stromnetz.
Der Netzbetreiber lädt ein – nicht umgekehrt
Das Pilotprojekt der Lechwerke mit der Tochterfirma LEW Verteilnetz (LVN) verfolgt einen neuen Ansatz: Statt zu warten, bis Projektierer für Wind- oder Solarparks beim Netzbetreiber Anschluss beantragen, stellt der Netzbetreiber selbst vorab fest, wo im Netz Kapazitäten vorhanden sind. Diese freien Anschlusspunkte werden ausgeschrieben, sodass sich Projektentwickler gezielt bewerben können.
In Balzhausen waren es 20 Bewerber für eine Kapazität von 80 Megawatt, sieben davon erhielten den Zuschlag. Sie bringen insgesamt 126 Megawatt installierte Leistung ans Netz – ein technisches Kunststück, das durch den Mix aus Wind, Sonne und Batteriespeichern möglich wird.
Effizienz durch Nähe und den richtigen Technikmix
Zentraler Bestandteil des Konzepts ist die räumliche Bündelung. Die Anlagen werden sternförmig um den Netzanschlusspunkt angeordnet. Das spart Leitungslänge, reduziert Eingriffe in die Landschaft und senkt die Anschlusskosten erheblich, so die LEW. Hinzu kommt: Solarstrom fließt tagsüber, Windkraft eher nachts und Batteriespeicher gleichen Schwankungen aus. Diese Kombination ermöglicht es, die Netzkapazität deutlich besser auszunutzen, ohne dass alle Anlagen gleichzeitig einspeisen müssen. Im Ergebnis entsteht eine sogenannte Überbauung des Anschlusses, bei der mehr Leistung angeschlossen ist, als rein rechnerisch eingespeist werden kann – jedoch mit hoher technischer Effizienz.
Halbierte Kosten, schnellere Entscheidungen
Nach Angaben der LEW sinken durch dieses Verfahren die Gesamtkosten für den Netzanschluss erneuerbarer Anlagen um etwa die Hälfte. Vor allem aber entfallen lange Wartezeiten. Während Projektierer sonst oft über ein Jahr auf eine Netzbewertung warten müssen, genügt bei der Einspeisesteckdose ein Bewerbungszeitraum von vier Wochen. Die Zusage erfolgt innerhalb weniger Tage.
Laut Christoph Lienert, Geschäftsführer der Firma "Green Flexibility", verbessert diese Geschwindigkeit die Planbarkeit für alle Beteiligten erheblich. Green Flexibility ist ein Entwickler von Energiespeichern, der als einer der Ersten sein Batteriespeicher-Projekt an die neue "Einspeisesteckdose" anschließen konnte. Auch für Kommunen und Bauämter soll das spürbare Entlastung bedeuten, da nur noch bewertete und realisierbare Projekte auf dem Tisch landen.
Politische Rückendeckung, aber noch offene Rahmenbedingungen
Der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger hebt beim Termin in Balzhausen hervor, dass das Konzept als Vorbild dienen und die Akzeptanz der Energiewende fördern soll. Die Idee sei einfach und volkswirtschaftlich sinnvoll: Nicht überall neue Trassen verlegen, sondern gezielt dort Strom produzieren, wo das Netz bereits vorbereitet ist. Für eine flächendeckende Umsetzung braucht es jedoch Änderungen auf Bundesebene. Bisher erlaubt das Energiewirtschaftsrecht solche vorausschauenden Ausschreibungen nur in Ausnahmefällen. Netzbetreiber können aktuell nicht selbst festlegen, welche Anlagenarten oder Speicherformen bevorzugt eingebunden werden. Auch eine verursachergerechte Kostenverteilung zwischen Projektierern und Netzbetreibern steht noch aus.
Die Lechwerke sehen Potenzial für 40 bis 50 weitere Einspeisesteckdosen im eigenen Netzgebiet. Ob andere Regionen dem Beispiel folgen, hängt nicht zuletzt von politischen Entscheidungen in Berlin ab. Die Debatte um faire Netzentgelte, regionale Steuerung und Akzeptanz vor Ort ist in vollem Gange. Und das Projekt in Balzhausen steht für einen Perspektivwechsel im deutschen Stromnetz.
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