Auf der Gamsalm bei Ehrwald zwang eine Mure eine Hochzeitsgesellschaft zur Flucht, nahe des Mont-Blanc-Tunnels begruben Felsbrocken ein Auto unter sich. Im Gschnitztal nahe des Brennerpasses verwüsteten Muren ein historisches Mühlendorf. Schuld war eine Gewitterzelle, die sich mit Hagel und Starkregen über dem Tal entladen hatte. Ein ähnliches Wetterphänomen verursachte 2021 die Zerstörung der Bobbahn am Königssee.
Aufzählungen von Ereignissen wie diesen ließen sich fortsetzen: Immer heftiger treten Extremwetterereignisse auf, die sich im kleinräumigen Profil der Alpen zudem sehr schwer vorhersagen lassen.
Mit Hammerschlägen auf den Spuren der Klimageschichte
Wissenschaftler versuchen, diese Vorgänge besser zu verstehen, indem sie die Berge unter die Lupe – oder in diesem Fall – unter den Vorschlaghammer nehmen: Über dem Plansee bei Reutte hallen an diesem Tag die Hammerschläge: Zusammen mit zwei Mitarbeitern geht der Münchner Geologieprofessor Michael Krautblatter einen breiten Schuttstrom ab. Kabel wurden verlegt, in regelmäßigen Abständen stecken Sensoren im Boden, die die von den Hammerschlägen ausgelösten Wellen im Boden messen. So ergibt sich bis in fast 30 Metern Tiefe ein Bild des Schuttroms, da festes Gestein anders widerhallt als Geröll. Die Daten werden mit Bohrkernen verglichen, die Michael Krautblatter schon früher Plansee erhoben hat.
Das Ergebnis: In den vergangenen Jahrzehnten hat die Zahl und die Größe der Muren um das Mehrfache zugenommen. Hauptursache liegt nach Ansicht des Forschers in der Zunahme der Starkniederschläge durch den Klimawandel. Forschungen wie diese liefen die Fakten für den Prozess der Naturveränderungen in den Bergen, der sich nicht nur bei der Gletscherschmelze weiter beschleunigt hat.
Neues Schutzbauwerk über Garmisch-Partenkirchen
In diesen Tagen wird oberhalb der Partnachklamm bei Garmisch-Partenkirchen ein neues Auffangbecken mit Rechen eingeweiht. Im Juni 2018 hatte der Bergbach nach einem extremen Unwetter seine zerstörerische Seite gezeigt. Die berühmte Touristenattraktion der Partnachklamm wurde zum Flaschenhals, verstopft von Baumstämmen und Treibgut, bis der Propfen geplatzt ist und eine Flutwelle herausbrach.
In jahrelangen Untersuchungen hat das Wasserwirtschaftsamt Weilheim nach dem besten Ort und der richtigen Bauform gesucht, damit sich ein ähnliches Ereignis nicht wiederholen kann. Touristen, die staunend durch die Klamm wandern, sind verdutzt. Sinn und Zweck der Baustelle verstehen sie erst nach einer Erklärung. Ein amerikanisches Paar findet das Bauwerk gut für die Menschen, die weiter unten leben, denn der Klimawandel sei eine Tatsache, mit der man umgehen müsse. Eine andere Wanderin merkt an, ob es notwendig sei, für den Schutzbau wieder Natur zu zerstören.
Alpenweiter Lernprozess
Getrieben von den Ereignissen mit immer größeren Schäden müssen sich die Alpenorte rascher und intensiver mit der bedrohlichen Entwicklung befassen. Von der Schweiz, die durch ihre hohen Berge und tiefen Täler besonders betroffen ist, bis nach Italien. Hier hatten es die 1.300 Einwohner und hunderte Touristen im Juni 2024 in Cogne, im Aostatal erlebt. Vier Wochen war der Ort von der Außenwelt abgeschnitten, weil die Straße ins Tal weggerissen wurde.
Für Giuseppe Cutano, Ingenieur und Zivilschutzbeauftragter in Cogne im Aostatal, sind die Muren und Sturzfluten des Vorjahrs der Anlass, den Ort naturnah weiterzuentwickeln: "Die Gemeinden in den Bergen müssen damit anfangen, gute Beispiele für nachhaltige Entwicklung zu schaffen. Schulungen sind wichtig für den Zivilschutz, dass die Leute wissen, wie sich verhalten müssen. Und die Infrastruktur müssen wir so wenig verwundbar wie möglich machen; also weg vom Wildbach, so wie es das Gelände zulässt". Auch wenn gerade Menschen in den Bergen gelernt haben, mit der Natur zu leben, wird es nötig sein, den Umgang mit dem neuen Risiko zu lernen. Und dafür braucht es viel mehr Wissen und Verständnis von allen, den Bewohnern und der Gesellschaft.
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