Ein Mann in Schutzanzug und Mund-Nase-Schutz, daneben grafische Darstellungen von Corona-Viren, im Hintergrund Kriegsszenerie.
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Hätte Putin die Ukraine überfallen, wenn es Corona nicht gegeben hätte?
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Hätte Putin die Ukraine überfallen, wenn es Corona nicht gegeben hätte?

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Merkels Corona-These: Ohne Pandemie kein Ukraine-Krieg?

Merkels Corona-These: Ohne Pandemie kein Ukraine-Krieg?

Angela Merkel stellt eine steile These auf: Ohne Corona hätte es den Ukraine-Krieg vielleicht nie gegeben. Dazu behauptet sie, Polen und die Balten trügen eine Mitschuld. Was ist dran an den Aussagen der Alt-Kanzlerin?

Über dieses Thema berichtet: Possoch klärt am .

In einem Interview mit dem ungarischen Online-Medium "Partizan" [externer Link] stellt Angela Merkel eine bemerkenswerte Frage: "Hätte Putin die Ukraine überfallen, wenn es Corona nicht gegeben hätte?"

Die Alt-Kanzlerin ist überzeugt, dass die Pandemie einen großen Einfluss hatte. Ihre Begründung: Persönliche Treffen waren unmöglich, Putin nahm 2021 nicht am G20-Gipfel teil, aus Angst vor Ansteckung. "Wenn man nicht Auge in Auge die Meinungsunterschiede austragen kann, dann findet man auch keine neuen Kompromisse mehr", so Merkel.

Putin in der Corona-Isolation: Angst, Wut und historische Mission

Der Neurowissenschaftler Ian Robertson hält im BR24-Interview für "Possoch klärt" Merkels These durchaus für berechtigt. Putin habe während Corona extreme Vorsichtsmaßnahmen getroffen – der berühmte überlange Tisch, Stuhlproben für Besucher, Desinfektionstunnel. Diese Isolation habe seine Denkweise verzerrt. "Angst hat die gleichen Symptome wie Wut", erklärt Robertson. Putin sei aus der Pandemie mit enormer Wut herausgekommen, gepaart mit seiner Angst vor dem Virus – das habe sein rationales Denken außer Kraft gesetzt.

Sicherheitsexperte Nico Lange bestätigt: "Es ist in der Szene der Putin-Kenner schon lange eine viel diskutierte Sache, dass Putin noch mal so eine Art Selbstradikalisierung durchgemacht hat in seiner Abschottung bei Corona." In dieser Phase habe Putin begonnen, sich als historische Figur auf einer Mission zu begreifen – nicht mehr nur als russischer Präsident, sondern als Wiederhersteller des russischen Reiches.

"Abenteuerliche" These: Politikwissenschaftler widerspricht

Thomas Jäger, Professor für Internationale Politik, hält Merkels Argumentation hingegen für "abenteuerlich". Putin sei bereits 2014 auf die Idee gekommen, die Ukraine zu überfallen. Die Vorbereitungen für die Invasion 2022 hätten im Frühjahr 2021 begonnen – als Merkel noch im Amt war. "Putin und Merkel kannten sich 15 Jahre. Da zu sagen, nur weil wir uns mal für ein paar Monate nicht gesehen haben, ist Putin auf die Idee gekommen, jetzt Krieg zu führen – das ist abenteuerlich."

Jägers Urteil ist eindeutig: "Schuld daran ist, dass der russische Präsident imperiale Ziele hat. Das ist der entscheidende Grund und es ist nicht Corona."

Im Video: Ist Corona schuld am Ukraine-Krieg? Possoch klärt!

Polen und Balten als Mitschuldige am Ukraine-Krieg?

Noch brisanter ist Merkels zweite These: Polen und die baltischen Staaten hätten eine Mitschuld am Krieg, weil sie ein neues Dialogforum mit Putin blockiert hätten. Diese Aussage stößt auf scharfe Kritik.

Jäger stellt klar: "Polen, auch die Balten, waren diejenigen, die über Jahre gewarnt haben. Sie haben gesagt: Da besteht eine Gefahr, da wird gerüstet, Putin hat weitergehende Ziele." In Berlin und Paris habe man sich grundlegend geirrt und die russische Position völlig falsch eingeschätzt; in Warschau hingegen habe man recht gehabt.

Nico Lange wird noch deutlicher: "Deutschlands falsche Politik ab 2014 – auch unter Merkels Verantwortung – hat ausdrücklich dazu beigetragen, dass Putin sich diesen Großüberfall 2022 getraut hat. Angela Merkel täte gut daran, ihre eigene Rolle kritisch zu hinterfragen."

Buchpromo statt Verantwortung?

Die Einschätzung der Experten ist ernüchternd: Merkels Aussagen wirken wie Buchpromo, zugeschnitten auf den Markt in Orbans Ungarn. Corona hat die Lage womöglich verschärft, die Isolation Putins Wahnsinn angeheizt. Aber Schuld am Krieg? Das ist einzig Putin mit seinen imperialen Zielen.

Das Fazit von Thomas Jäger: "Es war am Ende schlicht die Entscheidung eines Mannes, zu sagen, wir führen diesen Krieg. Putin lebt in einem System, in dem er allein das entscheiden kann." Und Ian Robertson ergänzt: "Das Einzige, was Putin respektiert, ist Stärke. Das Allerschlimmste wäre zu versuchen, ihn zu beschwichtigen."

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