Schon seit einem Jahr war das bayerische Justizministerium über die Foltervorwürfe in der JVA Gablingen im Landkreis Augsburg informiert. Die damalige Anstaltsärztin der JVA hatte sich im Oktober 2023 per Mail an die Strafvollzugsabteilung des Staatsministeriums der Justiz gewandt. In der Mail prangerte die Ärztin an, dass Häftlinge in "besonders gesicherten Hafträumen" (BgH) unter "menschenunwürdigen" Bedingungen eingesperrt worden seien. Doch wurde damals auch Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) über die Vorwürfe in Kenntnis gesetzt?
Wann wusste Justizminister Eisenreich von den Foltervorwürfen?
Nein, schreibt eine Ministeriumssprecherin auf Anfrage des BR. "Über die E-Mail der ehemaligen Anstaltsärztin wurde Staatsminister Eisenreich seinerzeit nicht informiert." Eisenreich habe erst "im Rahmen der Aufklärung der vergangenen Tage" von der Beschwerde-Mail der früheren Ärztin der JVA Gablingen erfahren, teilt die Sprecherin mit.
Auf einer Pressekonferenz am Donnerstagnachmittag will Eisenreich über den Stand der Aufklärung der Vorwürfe informieren und hat für kommende Woche auch einen Besuch im zuständigen Ausschuss angekündigt. "Die im Raum stehenden Vorwürfe im Zusammenhang mit der JVA Augsburg-Gablingen sind gravierend. Straftaten im Justizdienst sind inakzeptabel. Die Vorwürfe müssen rückhaltlos aufgeklärt werden. Die Aufklärung läuft mit Hochdruck", wird Eisenreich in einer Pressemitteilung des Ministeriums zitiert.
Landtags-Opposition fordert Aufarbeitung
Grüne und SPD im Bayerischen Landtag haben derweil Berichtsanträge zu den Vorgängen in der JVA Gablingen gestellt. Die Staatsregierung wird darin aufgefordert, dem Ausschuss für Verfassung, Recht, Parlamentsfragen und Integration mündlich und schriftlich zu berichten.
Unter anderem wollen die Oppositionsparteien wissen, was das Justizministerium getan hat, als es vor einem Jahr von den Vorwürfen der schweren Misshandlungen von Gefangenen das erste Mal erfahren hat. Außerdem, ob und welche Zeugen im Rahmen des Vorermittlungsverfahrens durch die Augsburger Staatsanwaltschaft vernommen wurden, bevor das Verfahren vorläufig eingestellt wurde. Die Opposition will zudem wissen, wie viele Ermittlungs- oder Dienstaufsichtsverfahren inzwischen eingeleitet wurden. Ebenfalls gefragt wird, ob das Justizministerium Kenntnis von Vorwürfen hat, die andere Justizvollzugsanstalten in Bayern betreffen.
Anwälte der Beschuldigten erhöhen Druck auf Justizministerium
Die Anwälte der beschuldigten und inzwischen vorläufig suspendierten stellvertretenden Gefängnisleiterin, die die Vorwürfe gegen sie zurückweist, richteten sich derweil in einem Brief an Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Sie fordern darin von ihm, dem Ministerium "die Befugnis zu entziehen, sich weiterhin als Aufsichtsbehörde mit der Prüfung von Vorwürfen im Zusammenhang mit der Justizvollzugsanstalt Augsburg-Gablingen zu befassen".
Sie begründen ihre Forderung damit, dass das Ministerium eingeräumt hat, schon seit einem Jahr von Vorwürfen das Gefängnis betreffend gewusst und dennoch keine Maßnahmen ergriffen zu haben. Es stehe "eine Strafbarkeit wegen Körperverletzung im Amt durch Unterlassen im Raum", schreiben die Anwälte Alexander Stevens und Holm Putzke. "Solange insoweit ein dringender Tatverdacht nicht zweifelsfrei ausgeräumt ist, darf eine selbst betroffene Behörde nicht weiter in die Ermittlungen involviert werden." Es bestehe sonst Verdunklungsgefahr.
Die Anwälte haben nach eigenen Angaben außerdem eine Strafanzeige gegen "die verantwortlichen Mitarbeiter des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz wegen Körperverletzung im Amt durch Unterlassen erstattet". Dies geht ebenfalls aus einem Schreiben der Anwaltskanzlei hervor und wurde dem BR von einem der beiden Anwälte nochmals telefonisch bestätigt.
Mit Informationen von dpa
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