Laut Innenministerium wurde 2024 gegen 517 Jugendliche und Heranwachsende als Tatverdächtige im Bereich "politisch motivierter Kriminalität rechts" (PMK rechts) ermittelt, fast doppelt so viele wie im Jahr davor. Die meisten von ihnen stehen im Verdacht, Propagandadelikte begangen zu haben. Auch der Weiße Ring berichtet von einem deutlichen Anstieg rechter Kriminalität bei jungen Menschen.
Auf Social-Media ist es nicht immer gleich eine Straftat, dennoch wird auch dort rechtes Gedankengut verbreitet und so kann es auch zu "Hate Crime" kommen. Also Straftaten wie Beleidigung, Volksverhetzung oder Holocaustleugnung.
"Es ist sehr viel und es ist überall"
"Wir sehen eine massive Präsenz rechter und rechtsextremer Inhalte auf allen Plattformen: TikTok, Instagram, Reddit, X", sagt Veronica Bezold, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Passau. Sie forscht seit nun mehr einem Jahr im Projekt Bayerischer Forschungsverbund ForGeRex zu rechtsextremen Internet-Memes.
Das Forschungsprojekt untersucht, wie rechtsextreme Gruppen in Bayern auftreten, welche Ideen sie verbreiten und welche Strategien sie nutzen und sucht gleichzeitig nach Wegen, wie man dem wirksam entgegentreten kann.
Clips mit Ironie
Jugendliche stoßen bei Social Media auf vermeintlich harmlose Clips, "die oft mit Satire oder Ironie getarnt sind", erklärt Betzold. "So wirken sie harmlos und Jugendliche teilen sie weiter." Die Influencer haben dann beispielsweise schon in der Social-Media-Biografie stehen, dass sie sich selbst eigentlich als Satire-Account oder als Ironie-Account labeln. Das gibt ihnen die Möglichkeit, zu einer Art Fluchtweg, weil man dann immer mit dem Augenzwinkern sagen könne, es sei nur ein Witz.
Umso anfälliger seien Jugendliche dafür, diese Inhalte dann eben auch weiterzuverbreiten, so Betzold. Der Algorithmus präsentiert den Usern dann immer neue Videos mit ähnlichem Inhalt.
Emojis als Code
Besonders perfide sei die Verwendung von Codes und Emojis, mit denen antisemitische oder rechtsextreme Botschaften verschleiert würden, sagt Betzold:
"Zum Beispiel das Apfelsaftpäckchen-Emoji wirkt eigentlich unschuldig, steht in bestimmten Kontexten aber für das englische Wort Juice, also Jews. Das ist ein Symbol für versteckten Antisemitismus, das kaum jemand außerhalb der Szene kennt."
Auch klassische Symbole wie die 88 oder die SS-Blitze tauchten weiter auf, würden aber zunehmend durch "neuere, unauffällige Codes" ersetzt. Ein praktisches Beispiel aus der Forschung sei: "Auf TikTok kursieren derzeit englische Versionen der Reden Adolf Hitlers unter dem Stichwort "painter speech". Die Ausschnitte werden glorifiziert, weiterverbreitet und es wird darüber diskutiert, ob "the painter" (um Sperrungen zu umgehen) nicht doch recht hatte. Das sei ganz klassische Verbreitung von NS-Propaganda. Insbesondere diejenigen Videos, die Hitler loben und ihm explizit zustimmen.
"Rechte Influencer wissen genau, wie man Jugendliche anspricht"
Rechtsextreme Influencer inszenieren sich laut Betzold modern, "Pinterest-like", mit klaren Botschaften und einer ansprechenden Ästhetik. "Sie nutzen die Mechanismen von Social Media perfekt: schnelle Inhalte, Humor, klare Feindbilder. Jugendliche, die sich einsam fühlen oder ausgegrenzt sind, finden dort Gemeinschaft."
Das Problem: Viele Präventionsangebote seien "hoffnungslos veraltet". Schulen müssten stärker auf neue digitale Kommunikationsformen eingehen, so Betzold. Das Internet ist jederzeit jedem zugänglich. Wenn extremistische Gruppen genau dort anwesend sind, entsteht eine gefährliche Dynamik.
Kriminologe: Mehr Aufmerksamkeit oder mehr Taten?
Ob die Zunahme an Anzeigen wegen rechter Straftaten tatsächlich auf mehr Taten zurückgeht, ist laut Kriminologe Henning Müller von der Universität Regensburg schwer zu sagen. "Die Statistik zeigt, dass die Anzeigen steigen, das kann bedeuten, dass es mehr Taten gibt, aber auch, dass die Gesellschaft genauer hinschaut." Klar sei aber: Die zunehmende gesellschaftliche Polarisierung und die "Rechtsverschiebung" in der öffentlichen Debatte wirkten auf junge Menschen. "Sie sehen, dass extreme Positionen Aufmerksamkeit bringen und das ist für viele ein Anreiz."
Social Media spiele dabei eine entscheidende Rolle: "Noch nie war es so leicht, mit einer Äußerung eine große Reichweite zu erzielen. Wo viele Gelegenheiten bestehen, gibt es auch viele Taten, das ist eine kriminologische Banalität."
Vergleichbare Dynamik bei Linksradikalismus bislang ausbleibend
Dass weltweit und in Deutschland die politische Entwicklung insgesamt stärker nach rechts tendiert, sehe man laut Müller auch in den Wahlergebnissen. Eine vergleichbare Dynamik gebe es beim Linksradikalismus derzeit nicht, was sich auch in den Zahlen der politisch motivierten Kriminalität links widerspiegele.
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