Es ist das Ende seines Lebens, wie er es kannte. Seit fast 38 Jahren arbeitet Stefan Fendt in der Papierfabrik in Ettringen im Unterallgäu. Jetzt steht der 53-Jährige in seinem Büro an der weißen Maschine zur Qualitätskontrolle und drückt zum vielleicht letzten Mal den silbernen Knopf, der die Papieranalyse startet. "Das ist schon ein deprimierender Moment für mich", klagt Fendt.
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Im März hat der finnische Papierhersteller UPM die Schließung seines Werks in Ettringen angekündigt. 235 Mitarbeiter werden ihren Job verlieren. Wie sie dabei entschädigt werden sollen, macht viele von ihnen wütend. Laut der zuständigen Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie hat UPM ihnen verhältnismäßig geringe Abfindungen angeboten: ein halbes Monatsgehalt pro Beschäftigungsjahr und knappe Altersteilzeitregelungen. Bei der Schließung anderer Werke sei der Konzern großzügiger gewesen. Die Angestellten wollen das nicht akzeptieren und zusammen mit Gewerkschaft und Betriebsrat vor Gericht bessere Konditionen erstreiten. Bis zur Entscheidung hängen sie in der Luft.
Im Video: "Unter aller Sau" - Was Mitarbeiter in Ettringen zu den Abfindungsangeboten von UPM sagen
Der UPM-Konzern macht die Papierfabrik in Ettringen dicht. 235 Menschen verlieren ihren Job - und das Dorf seinen größten Arbeitgeber.
150 Meter lang, mehrere Tonnen schwer: Die Papiermaschine steht still
Seit 1897 wird am Standort Ettringen Papier produziert. Qualitätsprüfer Stefan Fendt begleitet die Papierfabrik seit der Ausbildung. Als er sich wenige hundert Meter davon entfernt ein Haus gebaut hat, hat er dort gearbeitet, und auch, als seine beiden Kinder zur Welt kamen. Vor ihm hatte schon sein Vater in der Fabrik gearbeitet, dann seine beiden Brüder. "Für mich als Ettringer war die Fabrik immer da", erinnert sich Fendt. Seine Kollegen seien für ihn wie eine Familie gewesen: "Mit dieser Familie habe ich in den letzten Jahren mehr Zeit verbracht als mit meinen eigenen Kindern."
Gleich neben seinem Büro steht in der menschenleeren Werkshalle die mächtige Papiermaschine: 150 Meter lang und mehrere Tausend Tonnen schwer. Bis zu 1.000 Tonnen Papier am Tag hat der stählerne Koloss bis vor Kurzem noch produziert. Jetzt steht er still, wohl für immer. Grelles Licht, ein geparkter Gabelstapler, das Surren der Kühlung: Zu tun haben die meisten Angestellten hier in der Werkshalle nicht mehr viel. Zur Arbeit kommen sie trotzdem noch.
Schließung trotz Millionenprofit
Obwohl UPM nach eigenen Angaben vergangenes Jahr 463 Millionen Euro Profit gemacht hat, sei die Schließung unausweichlich, sagt Werksleiter Wolfgang Ohnesorg. Denn in Ettringen werden grafische Papiere produziert, wie sie etwa zur Herstellung von Zeitungen und Magazinen verwendet werden. Die aber sind laut des Verbands der Deutschen Papierindustrie immer weniger gefragt, unter anderem wegen der Digitalisierung.
Nach einer Statistik des Verbands ging von 2015 bis 2024 die Menge des in Deutschland produzierten grafischen Papiers um mehr als die Hälfte zurück, auch im ersten Halbjahr dieses Jahres setzte sich dieser Trend fort. Im niederbayerischen Plattling und in Hürth bei Köln hat UPM bereits Werke für grafische Papiere geschlossen, und auch an einem Standort in Finnland hat die Firma angekündigt, die Produktion von grafischem Papier einzustellen.
Vor zehn Jahren wurde in Deutschland noch mehr als doppelt so viel grafisches Papier für Zeitungen und Magazine produziert wie heute.
Sozialplan laut UPM "absolut marktüblich"
Gunnar Eberhardt, Vorstand der Abteilung für grafische Papiere bei UPM, sieht trotz des Erfolgs des Konzerns in anderen Geschäftsbereichen keine Möglichkeit, höhere Abfindungen zu bezahlen: "Wir sind natürlich als Unternehmen nicht nur für die betroffenen Mitarbeiter in Ettringen verantwortlich, sondern auch für die 5.000 anderen Mitarbeiter, die in dem Bereich arbeiten, dass wir ein dauerhaft gesundes und erfolgreiches Geschäft für die Zukunft fortführen können." UPM habe neue Plätze für seine Auszubildenden und über 200 vergleichbare offene Positionen in der Region gefunden. Der Sozialplan sei "absolut marktüblich".
Der Fall liegt jetzt beim Münchener Landesarbeitsgericht. Bis zur Entscheidung warten die 235 Mitarbeiter bei UPM in Ettringen weiter auf Klarheit. "In der Früh aus dem Bett und mit dem Fahrrad in die Arbeit: Das wird inzwischen schwierig", berichtet Qualitätsprüfer Fendt. Er will sich zum Heilerziehungspfleger für Menschen mit Beeinträchtigung umschulen lassen. Solange er aber auf die Kündigung von UPM wartet, kann er die Ausbildung nicht beginnen. "Dass es vorbei ist", wünscht er sich deshalb von UPM.
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