Der Parteinachwuchs wird deutlich. "Das ist kein Fortschritt, sondern eine Verpflichtung", sagt Anna Gmeiner, Sprecherin der Grünen Jugend Bayern. Der Vorschlag aus der Grünen-Landtagsfraktion, eine Dienstpflicht für alle einzuführen, stehe "in klarem Widerspruch zu den Grundwerten der Partei" und sei "ohne Debatte innerhalb der Partei" veröffentlicht worden. Das grüne Grundsatzprogramm basiere auf Freiheit und Selbstbestimmung. "Dienstverpflichtungen" wie der "sogenannte Freiheitsdienst" passen da aus Sicht der Grünen Jugend nicht rein.
Das Konzept für einen "Freiheitsdienst" hatte Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze mit dem Grünen-Innenexperten Florian Siekmann ausgearbeitet. Demnach soll sich jeder in Deutschland zwischen 18 und 67 Jahren ein halbes Jahr lang für die Gesellschaft engagieren: Das könne der Wehrdienst, ein Einsatz bei der Feuerwehr oder Engagement in der Jugendarbeit sein.
Widerspruch vom Bundeschef
Die Grüne Jugend Bayern zeigt sich enttäuscht. Sie hätte gerne bei der Erarbeitung des Konzepts mitgewirkt. Denn statt zu verpflichten, müsse der Freiwilligendienst attraktiver werden, ist sich Jonas Turber von der Grünen Jugend Bayern sicher. Konkret nennt er "eine angemessene Vergütung für Freiwilligendienste" und "eine Anerkennung in Ausbildung und Studium". "Es braucht linke Politik", ergänzt Gmeiner. Um sich ein Ehrenamt leisten zu können, müssten die Menschen erst einmal Zeit und Geld dafür haben.
Ähnliche Kritik kommt aus Berlin. Auf dem jüngsten Parteitag habe man einen anderen Vorschlag beschlossen, betont Bundesparteichef Felix Banaszak. Und den halte er weiterhin für richtig. Es gehe darum, erst einmal die Freiwilligkeit zu stärken. Natürlich hätten Bundeswehr und Blaulichtorganisationen dringenden Personalbedarf. Die "Potenziale der Freiwilligkeit" seien aber noch nicht ausgeschöpft. Das Engagement müsse attraktiver werden.
Gegenwind auch aus der Landesgruppe
Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Leon Eckert aus Freising pflichtet dem Parteichef bei: "Wir wollen motivieren statt verpflichten." Es gebe eine enorme Zahl an Ehrenamtlichen. "Die Basis für eine engagierte Zivilgesellschaft ist in der Bundesrepublik vorhanden." Nun müsse es darum gehen, noch mehr Menschen dazu zu bringen, sich insbesondere bei der Feuerwehr, dem THW oder bei der Bundeswehr zu engagieren.
"Hierfür muss die finanzielle Ausstattung der Freiwilligendienste im Bundeshaushalt deutlich verbessert werden", verlangt Eckert. Für die Menschen, die im Ehrenamt Leib und Leben für andere riskieren, könne er sich auch steuerliche Vorteile vorstellen. Dass es angesichts der aktuellen Sicherheitslage Veränderungen und Diskussionen geben müsse, ist für den Grünen Politiker selbstverständlich. Und auch Parteichef Banaszak freut sich darüber, dass die Partei debattiert. "Dafür ist jetzt auch der richtige Zeitpunkt."
Jahrelange Diskussion: Müssen alle ran oder nur die Jungen?
Schon seit Jahren wird über eine Rückkehr zur Wehrpflicht oder eine allgemeine Dienstpflicht diskutiert. Im vergangenen Jahr sprachen sich beispielsweise CDU und CSU in Parteitagsbeschlüssen dafür aus. Während die CSU-Landtagsfraktion aber ein "verpflichtendes Gesellschaftsjahr" für junge Menschen fordert, wollen Schulze und Siekmann die Last nicht auf der jungen Generation abladen. "Alle müssen ihren Beitrag leisten", betont Schulze.
Ein weiterer Unterschied zu bisherigen Vorschlägen sei die Dauer: "Wir glauben, dass ein halbes Jahr leichter in die Lebensrealität umsetzbar ist." Der Forderung aus den eigenen Reihen nach attraktiveren Rahmenbedingungen für Freiwillige stimmt Siekmann zu: "Grundsätzlich braucht es mehr Plätze für Freiwilligendienste und eine bessere Bezahlung." Das wäre beim vorgeschlagenen "Freiheitsdienst" ohnehin so vorgesehen. Da gebe es also gar keinen Dissens.
Die Gesellschaft widerstandsfähiger machen?
In "Zeiten zunehmender Bedrohungslagen" müsse nun aber auch über neue Lösungen nachgedacht werden, sagt Schulze. Eine zentrale Frage sei dabei: Wie können wir unsere Gesellschaft "widerstandsfähiger" machen? Dass die Debatte jetzt Fahrt aufnehme und der eigene Vorschlag auch in Berlin diskutiert wird, freue sie: "Wir wollten bewusst eine Debatte lostreten, damit über diese wichtige Frage die Koalitionäre in Berlin nicht allein hinter verschlossenen Türen entscheiden."
Die innerparteiliche Kontroverse, die dadurch entstanden ist, halten Schulze und Siekmann für unproblematisch. Schulze betont: "Nur mit Debatten werden bei so großen gesellschaftlichen Fragen Lösungen gefunden."
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