Die Gemeinde Farchant im Landkreis Garmisch-Partenkirchen reagiert auf wiederkehrende Verkehrsprobleme: Sobald das Wetter schön ist oder Ferien sind, kommt es regelmäßig zu Blockabfertigung vor dem Tunnel Farchant. Viele fahren von der Bundesstraße ab, versuchen ihr Glück durch den Ort und verursachen ein Verkehrschaos. Der Gemeinderat hat jetzt einstimmig beschlossen, ein Abfahr- und Durchfahrtsverbot für Wochenenden, Feiertage und Ferienzeiten einzuführen. Ziel ist es, die Anwohner spürbar zu entlasten.
Abfahrtsverbot nach Chiemgau-Vorbild – aber auf Bundesstraße
Das geplante Verbot orientiert sich am Chiemgau: In den Landkreisen Traunstein, Berchtesgadener Land und Rosenheim gelten seit diesem Sommer ähnliche Maßnahmen – allerdings auf Autobahnen: der A8 und der A93. Dort sollen Schilder verhindern, dass Fahrer bei Stau auf der Autobahn auf die Ortsstraßen ausweichen. Farchant variiert das nun: Zum ersten Mal in Deutschland soll ein solches Modell auf einer Bundesstraße gelten. "Dann erhoffen wir uns weniger Verkehr durch den Ort", erklärt Bürgermeister Christian Hornsteiner (CSU) im BR24-Interview. Die Allgemeinverfügung soll nach seinem Wunsch noch vor den Weihnachtsferien in Kraft treten. Polizei, Landratsamt und Staatliches Bauamt sind in die Planung eingebunden.
Warum Abfahrtsverbote in Deutschland nun möglich sind
In Deutschland erlaubt die Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) normalerweise kein generelles Abfahrtsverbot auf Bundesstraßen oder Autobahnen, wie etwa in Österreich. Farchant nutzt jetzt die Möglichkeit einer "verkehrsrechtlichen Anordnung" für Gemeindestraßen, die den Ausweichverkehr gezielt unterbindet. Konkret heißt das: Wer die Bundesstraße verlässt, um durch den Ort zu fahren, verstößt gegen diese Anordnung. So können die Behörden den Durchgangsverkehr auf der Bundesstraße halten, ohne die Freiheit der Straße insgesamt einzuschränken.
Ein weiterer Unterschied zu Österreich: Dort können auch private Sicherheitsfirmen mit der Kontrolle von Abfahrtsverboten beauftragt werden. In Deutschland kann nur die Polizei kontrollieren, und die ist personell kaum in der Lage, alle Ausfahrten bei Stau dauerhaft zu überwachen. Die Maßnahme gilt deshalb nur lokal und zeitlich begrenzt, etwa an Wochenenden, Feiertagen oder in Ferienzeiten.
Keine Kontrolle? Kaum Entlastung!
Erste Erfahrungen aus dem Chiemgau zeigen: So einfach ist es nicht. Laut der Bürgerinitiative "Staufreies Dorf" funktionieren die Verbote nur bedingt. Urlauber und Lkw-Fahrer verstehen die Schilder oft nicht, weil sie nur auf Deutsch beschriftet sind. Die Polizei kann nur stichprobenartig kontrollieren – oft können Autofahrer weiterfahren, wenn sie einen plausiblen Grund angeben. Auch an besonders verkehrsreichen Wochenenden oder während Baustellen kommt es trotz Verboten noch zu Staus in den Ortsdurchfahrten. "Die Maßnahmen bringen nur dann etwas, wenn sie konsequent umgesetzt werden und die Kontrollen funktionieren", sagte Maximilian Keil von der Bürgerinitiative dem BR. Kritiker fordern deshalb Geldbußen bis 50 Euro für Verstöße, um die Wirksamkeit der Verbote zu erhöhen.
Bis Ende Oktober Tunnel Farchant teilweise nicht befahrbar
In Farchant selbst verschärft der Ausweichverkehr die Lage: Rettungsdienste und Feuerwehr kommen teilweise nicht mehr ungehindert durch. Die aktuelle Situation im Farchanter Tunnel – der Verkehr fließt derzeit nur noch durch eine Röhre – verschärft die Probleme zusätzlich. Schon seit Anfang September führt das Staatliche Bauamt Weilheim Reinigungs-, Wartungs- und Sanierungsarbeiten in den Tunneln Oberau und Farchant durch. Die Arbeiten sollen noch bis Ende Oktober dauern, erst dann sind beide Röhren wieder frei befahrbar. Blockabfertigungen sind deshalb vor allem an schönen Wochenenden programmiert.
Präzedenzfall Farchant – Vorbild für andere Gemeinden?
Ob das Vorhaben den gewünschten Effekt bringt – Durchgangsverkehr reduzieren und die Sicherheit für Anwohner und Einsatzkräfte erhöhen –, hängt von der konsequenten Umsetzung und Kontrolle ab. Der Fall Farchant sorgt bereits über die Gemeindegrenzen hinaus für Aufmerksamkeit: Viele andere Orte in Bayern prüfen ähnliche Maßnahmen. Die Gemeinde könnte damit zu einem Präzedenzfall für lokale Verkehrssteuerung auf Bundesstraßen werden.
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