Wie lauten in Zukunft die Regeln in Bezug auf Prostitution in Deutschland? Nach der Aussage von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner, Deutschland sei der "Puff Europas", ist eine Diskussion um das Thema Sexarbeit entbrannt.
"Frau Klöckner nimmt polemisierend Einfluss"
Wenig überrascht vom Inhalt dieser Forderung – dafür vielmehr vom Adressaten – ist Konstantin Dellbrügge, der im Vorstand des Nürnberger Vereins Kassandra sitzt: einer Fachberatungsstelle für Prostituierte, die Unterstützungsangebote für Menschen in der Sexarbeit anbietet. Dellbrügge würde von einer Bundestagspräsidentin mehr Neutralität und Sachbezogenheit erwarten. Aber: "Ich erlebe es so, dass Frau Klöckner an verschiedenen Stellen polemisierend auf die gesellschaftliche Diskussion Einfluss nimmt."
Für Dellbrügge komme ein gefordertes Sexkaufverbot nicht infrage, wie er im "Tagesgespräch" auf Bayern2 betont. Denn ein solches Verbot würde bedeuten, dass alle Kunden von erotischen oder sexuellen Dienstleistungen kriminalisiert würden. "Stellen Sie sich das mal vor beim Bäcker. Alle Leute, die Brötchen kaufen, werden kriminalisiert, aber der Bäcker darf weiter arbeiten. Aber wenn er lauter Kriminelle als Gäste und Kunden hat – wie lange wird sein Geschäft noch gehen?", so Dellbrügge.
Verein für Prostitutions-Ausstieg plädiert für nordisches Modell
Der Verein Sisters, der Frauen beim Ausstieg aus der Prostitution hilft, ist anderer Meinung und unterstützt die Forderung von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner, auch in Deutschland das sogenannte nordische Modell einzuführen. Dieses sieht die Bestrafung von Freiern und die Schließung von Bordellen vor. Nach dem zuerst in Schweden eingeführten Modell ist der Kauf sexueller Dienstleistungen illegal, der Verkauf von Sex bleibt dagegen straffrei. Prostituierte erhalten Hilfe, um sich eine neue Existenz aufzubauen.
In Schweden gibt es das Nordische Modell bereits seit 1999. Laut des Bundesverbands Nordisches Modell ist die Prostitutionsrate dadurch gesunken.
"Sie sind oft schutzlos": Keine Lobby für Prostituierte
Mit dem nordischen Modell werde zugleich ein Paradigmenwechsel vollzogen, sagte Solveig Senft von Sisters im BR24-Interview. Nicht die Prostituierten machten sich strafbar, sondern die Nutzer von Prostitution. Seit der Änderung des Prostitutionsgesetzes 2002 – das die rechtlichen Rahmenbedingungen der Prostitution in Deutschland veränderte, indem es unter anderem Prostitution nicht mehr für sittenwidrig erklärte – beobachtet Solveig Senft, dass die Zahl der Prostituierten deutlich zugenommen habe.
Viele von ihnen seien sehr jung, viele kämen aus Osteuropa. "Es ist sehr leicht, in die Prostitution zu rutschen. Außerdem haben die Frauen keine Lobby", sagte sie im Gespräch mit BR24. "Sie sind oft schutzlos, haben kein eigenes Konto, keine Krankenversicherung und keine eigene Wohnung." Gerade wenn Prostituierte Kinder hätten, sei es zudem leicht, sie unter Druck zu setzen.
Belgien als Vorbild? Sexarbeitende haben mehr Rechte
Konstantin Dellbrügge vom Verein Kassandra wünscht sich für Deutschland eine Strategie, wie sie gerade in Belgien praktiziert werde. Belgien ist seit Dezember das erste Land, in dem Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter Rechte wie etwa Mutterschutz oder Rente genießen dürfen. Dort ist die Sexarbeit zwar legalisiert und entkriminalisiert. "Aber", betont Dellbrügge: "Die schauen auch immer drauf: Was brauchen wir noch für Sonderregelungen in der Sexarbeit?" Zum Beispiel dürften Sexarbeiter in Belgien nicht vorgeschrieben bekommen, welche Sexpraktiken sie ausüben müssen.
Von dem nordischen Modell hält Dellbrügge unterdessen wenig. Denn dort, wo dieses Prinzip gilt, würden die Kunden nur in Länder fahren, in denen Prostitution noch legal ist.
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