BR-Umfrage zu antidemokratischen Vorfällen an bayerischen Schulen.
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BR-Umfrage zu Vorfällen an bayerischen Schulen
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BR-Umfrage zu Vorfällen an bayerischen Schulen

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Hitlergruß im Klassenzimmer: Rechtsextreme Vorfälle an Schulen

Hitlergruß im Klassenzimmer: Rechtsextreme Vorfälle an Schulen

Laut einer BR-Umfrage kam es an zwei von drei Schulen in Bayern im Schuljahr 2024/25 zu menschen- oder demokratiefeindlichen Vorfällen. Knapp 600 weiterführende Schulen haben sich an der Umfrage beteiligt. Damit liegen erstmals solche Zahlen vor.

Über dieses Thema berichtet: Der Funkstreifzug am .

Diskriminierende Beleidigungen, Mobbing oder Gewalt: 66 Prozent der teilnehmenden Schulen in Bayern berichten von menschen- oder demokratiefeindlichen Vorfällen im vergangenen Schuljahr 2024/25. Das ergibt eine Umfrage von BR Recherche und BR Data an weiterführenden kommunalen und staatlichen Schulen. Unter solche Vorfälle fallen rassistische, antisemitische, sexistische oder queerfeindliche Beleidigungen, Gewalt oder politische Einflussnahme.

Von den mehr als 1.500 angeschriebenen Schulen – das sind fast alle weiterführenden kommunalen und staatlichen Schulen in Bayern – beantworteten 598 Schulleitungen die Fragen des BR. Das entspricht einer Rücklaufquote von 39 Prozent. Die Schulleitungen konnten anonym an der nicht-repräsentativen Befragung teilnehmen.

Mehr zu diesem Thema hören Sie am Mittwoch (10.12.25) um 12.17 Uhr in der Sendung "Funkstreifzug" im Radioprogramm von BR24. Den Funkstreifzug finden Sie unter diesem Link jederzeit als Podcast in der ARD-Audiothek.

Schulen ordnen Vorfälle mehrheitlich dem politisch rechten Spektrum zu

Knapp drei Viertel der teilnehmenden Mittelschulen, Realschulen, Fachoberschulen und Gymnasien, die in der Umfrage antidemokratische Vorfälle in den Kategorien Symbole und Parolen, Gewalt oder politische Einwirkung angeben, ordnen diese dem politisch rechten Spektrum zu. Drei Prozent der Schulen verorten Vorfälle politisch links. An etwas mehr als jeder zehnten Schule hatten Vorfälle überwiegend einen religiösen Hintergrund. Für ein Drittel der Schulleitungen ist eine klare Zuordnung nicht möglich.

Grafik: Hintergrund von Vorfällen an Schulen

"Ausländerfeindliche Lieder" und "Heil Hitler"

Mehr als hundert Schulleitungen schildern im Rahmen der Umfrage konkrete Beispiele aus dem Schulalltag. Sie berichten davon, dass Jugendliche "ausländerfeindliche Lieder singen", Mitschüler beleidigen, weil sie schwarz oder queer sind, oder dass "Heil Hitler auf dem Wahlzettel der Juniorwahl" stand.

Unter anderem ist die Rede von einem "frauenfeindlichen Menschenbild" vor einem islamistischen Hintergrund, von "Handgreiflichkeiten aus rechtsextremer Zielrichtung" sowie häufig von Vandalismus und Schmierereien. Vor allem Hakenkreuze und das Zeigen des Hitlergrußes werden von Schulleitungen immer wieder genannt. Dazu kommen einschlägige Zahlencodes, Memes oder Emojis in Chatnachrichten.

"Das stört nicht nur den Schulfrieden, das bedroht auch die Demokratieerziehung an Schulen", sagt Rico Behrens, Professor für politische Bildung an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Er forscht seit Jahren zu demokratiefeindlichen Tendenzen an Schulen. Der Wissenschaftler ist nicht überrascht, dass die teilnehmenden Schulen die Vorfälle mehrheitlich dem rechten Spektrum zuordnen: "Wenn man sich die Wahlergebnisse und das gesellschaftliche Klima anschaut, ist es eigentlich normal, dass es das in Schulen geben muss."

Keine offiziellen Zahlen in Bayern

Menschen- oder demokratiefeindliche Vorfälle treten der Umfrage nach an allen Schulformen auf, also an Mittelschulen, Realschulen, Fachoberschulen und Gymnasien. Gleichzeitig beschreiben 85 Prozent der Schulleitungen das Klima an ihren Schulen als respektvoll oder eher respektvoll. Gespalten ist das Bild bei der Frage, wie sich die Anzahl solcher Vorfälle in den vergangenen fünf Jahren entwickelt hat: Für knapp die Hälfte (45 Prozent) ist die Situation unverändert, für die anderen (44 Prozent) werden die Vorfälle mehr.

Das bayerische Kultusministerium erfasst und veröffentlicht solche Vorfälle an Schulen nicht. Anders als zum Beispiel Sachsen: Dort gibt es eine Meldepflicht für Schulen.

Kultusministerium bewertet Umfrageergebnisse nicht

Auf BR-Anfrage antwortet ein Sprecher des bayerischen Kultusministeriums, dass man eine allgemeine Meldepflicht für Schulen nicht für zielführend halte, "da die Bewertungen solcher Vorfälle situations- sowie kommunikationsabhängig und somit nur schwer vergleichbar sind".

Weiter heißt es: Im sensiblen Bereich Schule würden besondere Anforderungen an Datenschutz, Fürsorgepflichten und das Vertrauensverhältnis zwischen Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern sowie Eltern gelten.

Zu den Umfrageergebnissen will sich das Kultusministerium nicht äußern. Die Erhebung erfülle nicht die Voraussetzungen einer repräsentativen Umfrage. Stattdessen betont das Ministerium die Bedeutung von politischer Bildung und die Fortbildung für Lehrkräfte: "Damit es zu Vorfällen dieser Art jedoch gar nicht erst kommt, setzen wir an unseren Schulen zuallererst auf Prävention." Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler) stand für ein Interview nicht zur Verfügung.

Bildungsforscher Behrens: "Wir brauchen diese Daten"

Der Bildungsforscher Rico Behrens hält Erhebungen wie die BR-Umfrage für wichtig, um öffentliche Debatten anzustoßen: "Wir brauchen diese Daten, weil es eine Tendenz gibt, diese Themen kleinzureden." Keine Schule wolle in der Öffentlichkeit mit diesem Thema in Verbindung gebracht werden oder gar als Problemschule gelten.

Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV), bezeichnet die Umfrageergebnisse als "Alarmglocke" für Politik und Gesellschaft. "Wir könnten viel gezielter reagieren, wenn öffentlich bekannt wäre, was an den Schulen tatsächlich vor sich geht", sagt die BLLV-Präsidentin. Man dürfe Schulen damit nicht allein lassen.

Kultusministerium: "Extremismus entschlossen entgegentreten"

Um ein genaueres Bild der menschen- und demokratiefeindlichen Vorfälle an Schulen zu bekommen, fragten BR Recherche und BR Data drei verschiedene Kategorien von Vorfällen ab: Symbole und Parolen (z.B. Hakenkreuze, IS-Flagge, rotes Hamas-Dreieck), verbale und physische Gewalt (z.B. Mobbing, körperliche Übergriffe) sowie politische Einwirkung (z.B. Referate, Flugblätter, Aufkleber).

In allen drei Kategorien geben die meisten teilnehmenden Schulleitungen an, dass die Vorfälle mehrheitlich dem rechten politischen Spektrum zuzurechnen sind. Politisch links motivierte Vorfälle traten vor allem im Bereich der politischen Einwirkung auf. Ein religiöser Hintergrund spielte bei Vorfällen mit verbaler und physischer Gewalt eine Rolle.

Das Kultusministerium betont auf Anfrage, "dass unsere Schulen Extremismus ganz gleich aus welcher Richtung entschlossen entgegentreten".

Grafik: Hintergrund der Vorfälle nach Kategorien

In der BR-Umfrage geben einzelne Schulleiterinnen und Schulleiter an, die Polizei gerufen zu haben: An einer Realschule etwa, weil ein "rechtsradikalisierter Schüler" seine Mitschüler beeinflusst habe, an zwei unterschiedlichen Gymnasien, nachdem Schüler "rassistische und rechte Inhalte" in Klassenchats geteilt hatten.

Das Kultusministerium weist darauf hin, dass jeder strafrechtlich relevante Fall zur Anzeige gebracht werden müsse. In besonders schweren Fällen sei die übergeordnete Behörde oder das Kultusministerium einzuschalten.

Außerdem verweist das Ministerium auf die sogenannten Regionalbeauftragten für Demokratie und Toleranz. Diese stünden als "kompetente Ansprechpartner für Prävention sowie Intervention gegen jedwede Form von Extremismus oder Diskriminierung zur Verfügung".

Schulleitungen sehen mehrheitlich Social Media als Ursache

86 Prozent der teilnehmenden Schulleitungen geben an, dass der Einfluss von Social Media zu menschen- und demokratiefeindlichen Vorfällen führe. 62 Prozent sehen zudem den gesellschaftlichen Rechtsruck als einen Grund an. Für ein Viertel der Schulleiterinnen und Schulleiter spielt der Konflikt zwischen Israel und Gaza eine Rolle. Nur etwa jede zehnte Schulleitung sieht die Vorfälle als Ausdruck einer Jugend- und Protestkultur oder als Folge der Corona-Zeit. Bei dieser Frage konnten Schulleitungen mehrere Aussagen auswählen.

In der BR-Umfrage wurden die Schulen auch gebeten, die staatliche Unterstützung bei menschen- und demokratiefeindlichen Vorfällen zu benoten. 84 Prozent der Schulleitungen bayerischer Gymnasien und 78 Prozent der Schulleitungen von Realschulen vergeben mehrheitlich die Schulnoten sehr gut, gut oder befriedigend. Ein anderes Bild ergibt sich bei den Mittelschulen: Knapp die Hälfte vergibt die Schulnoten ausreichend, mangelhaft und ungenügend. 18 der teilnehmenden Mittelschulen beurteilen die Unterstützung durch die Staatsregierung mit der Note sechs (ungenügend).

Zur Umfrage

BR Recherche/BR Data verschickte einen Online-Fragebogen direkt an 1.523 Schulleitungen von kommunalen und staatlichen weiterführenden Schulen in Bayern, deren E-Mail-Adresse öffentlich auffindbar war. Die Redaktion ließ sich bei der Erstellung des Fragebogens wissenschaftlich beraten. Der Befragungszeitraum erstreckte sich vom 23. Oktober bis zum 5. November 2025. Die Teilnahme war anonym. Schulen konnten freiwillig Kontaktdaten hinterlassen.

Um die Anonymität der Schulleitungen zu gewährleisten, fragte der BR außer dem Regierungsbezirk keine weiteren Merkmale einer Schule ab. Somit ist nicht nachvollziehbar, ob zum Beispiel anteilig so viele städtisch und ländlich geprägte Schulen an der Befragung teilgenommen haben, wie es dem realen Verhältnis in Bayern entspricht. Die Umfrageergebnisse sind deshalb nicht repräsentativ.

598 Schulen nahmen an der Befragung teil, das entspricht einer Rücklaufquote von 39 Prozent. Nach Schulformen aufgeschlüsselt: 298 der 813 angefragten Mittelschulen, 106 der 277 angefragten Realschulen, 36 der 73 angefragten Fachoberschulen und 158 der 360 angefragten Gymnasien haben den Fragebogen ausgefüllt.

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