Die Geschichte vom Verein "Münchener Freiwillige" beginnt 2015 am Münchener Hauptbahnhof. Marina Lessig sowie ihre Kollegen und Kolleginnen warten damals am Gleis auf die ankommenden Geflüchteten, um direkt zu helfen. Aus dieser Spontanhilfegruppe gründet sich der Verein. Wie viel ist von dem Engagement zehn Jahre später noch da?
Aus Erfahrungen Konkretes lernen
"Wenn ich auf das schaue, was der Verein jetzt neben der Spontanhilfe leistet, bin ich sehr zufrieden", sagt die Vereins-Mitbegründerin und Vorstandsvorsitzende. Der Verein hat sich in der Zeit professionalisiert. Das zeigt sich unter anderem in der angesprochenen Spontanhilfe. Lessig meint damit, dass der Verein aus den Ausnahmesituationen 2015 lernen wollte, wie ehrenamtliche Hilfe in solchen Momenten am besten zu koordinieren ist.
Anhand der Frage "Wer wird gerade wo am dringendsten gebraucht?" hat der Verein beispielsweise bei der Corona-Pandemie oder dem Beginn des russischen Angriffskriegs die Ehrenamtlichen verteilt, die sich spontan gemeldet haben. Aus diesen Erfahrungen entsteht derzeit ein Konzept, das der Verein zusammen mit der Münchener Feuerwehr erarbeitet.
Schnelle Hilfe, die aber auch schnell wieder geht
Eine Erkenntnis aus 2015: Es melden sich zwar immer sehr schnell viele Leute, viele hören aber auch bald darauf wieder auf. "Ich habe den Eindruck, Spontanhilfe ist ein Phänomen, das entsteht, wenn Bürgerinnen und Bürger den Eindruck haben, jetzt müssen sie kurz den Staat unterstützen. Und dafür stellen sie Familie und Freunde zurück", sagt Lessig. Das halte dann eine Woche bis maximal einige Monate, aber dann würden die Helferinnen und Helfer wieder in ihr normales Leben zurückkehren. Es sei eben nur eine Ausnahmesituation.
Messbar weniger Angebot an Ehrenamtlichen
Wie stark die Helferszene wieder schrumpfen kann, zeigt ein Beispiel aus Passau. Ähnlich wie die Münchener Gruppe kümmern sich Perdita Wingerter und der von ihr gegründete Verein "Gemeinsam leben & lernen in Europa" 2015 um die Verteilung von Unterstützerinnen und Unterstützern, die sich melden. Doch im Vergleich zu heute hat die Bereitschaft extrem abgenommen.
Wingerter erklärt das anhand von Sprachpatenschaften, bei denen freiwillige Helferinnen und Helfer ihres Vereins in der Schule Kindern helfen, so schnell wie möglich Deutsch zu verstehen und zu sprechen. Als sie 2015 einen neuen Aufruf für eine neue Schulung gestartet hatten, hätten sie in kurzer Zeit 20 bis 30 Leute zusammengehabt. "Jetzt müssen wir auf allen Kanälen kommunizieren, um an Ehrenamtliche heranzukommen. Und dann kriegen wir mit Ach und Krach fünf zusammen. Von denen dann vielleicht auch nur drei in den Einsatz gehen", sagt Wingerter.
Die Folge: In Passau verschwinden die Organisationen und Initiativen, die Hilfe wie Sprachprojekte oder Begegnungsangebote für Geflüchtete anbieten. Von den circa 35 bis 40 solcher Gruppen, die sich 2015 mal gegründet haben, falle Wingerter nur noch ihr Verein ein, der heute noch übrig ist. Ansonsten bleibe nur die Arbeit in den wenigen Händen der professionellen Flüchtlingsarbeit.
Silvester 2015 als Kipppunkt
Entscheidend für diesen Rückgang sei vor allem ein Vorfall gewesen, sagt Wingerter: "Die Stimmung ist spürbar mit der Silvesternacht in Köln gekippt." Im Jahreswechsel von 2015 auf 2016 wurden mehr als 600 Frauen Opfer von sexueller Gewalt. Als Tatverdächtige identifizierte die Polizei 299 Personen: darunter Deutsche, Iraker, Syrer und Tunesier. Mehr als die Hälfte der identifizierten Tatverdächtigen aber stammten aus Nordafrika. Danach, so Perdita Wingerter, habe das Engagement in der Flüchtlingsarbeit sehr nachgelassen.
Die beiden Beispiele aus Passau und München zeigen, dass insbesondere die schnelle ehrenamtliche Hilfe den Staat durchaus sehr unterstützen kann. Dennoch ist es alles andere als selbstverständlich, dass aus dieser Hilfsbereitschaft auch freiwillige Gruppen werden, die dauerhaft in der Flüchtlingsarbeit bleiben.
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