Arbeiter reparieren die Zugstrecke bei Burgrain (Archivbild 2022)
Arbeiter reparieren die Zugstrecke bei Burgrain (Archivbild 2022)
Bild
Hat das "System Bahn" Schuld am Zugunglück in Burgrain vor drei Jahren? In einem Prozess soll das geklärt werden. (Archivbild)
Bildrechte: picture alliance/dpa | Angelika Warmuth
Schlagwörter
Bildrechte: picture alliance/dpa | Angelika Warmuth
Videobeitrag

Hat das "System Bahn" Schuld am Zugunglück in Burgrain vor drei Jahren? In einem Prozess soll das geklärt werden. (Archivbild)

Videobeitrag
>

Prozess um Zugunglück in Burgrain: "System Bahn" vor Gericht?

Prozess um Zugunglück in Burgrain: "System Bahn" vor Gericht?

Der 3. Juni 2022 – ein Tag, den keiner im Landkreis Garmisch-Partenkirchen vergessen wird. Ein Regionalzug entgleist. In einem Prozess soll nun geklärt werden, wer schuld an dem Unglück war.

Über dieses Thema berichtet: BAYERN 3-Nachrichten am .

Mehr als drei Jahre nach dem Zugunglück von Burgrain, einem Ortsteil von Garmisch-Partenkirchen, kommt es jetzt zum Prozess in München. Bei dem Unglück starben fünf Menschen. Angeklagt sind zwei Bahnbeschäftigte, ein Fahrdienstleiter und ein Bezirksleiter. Fragen und Antworten zum Prozessauftakt.

Welche Vorwürfe gibt es gegen die Beschuldigten?

Der Fahrdienstleiter und der Fahrbahnverantwortliche sind beide Beschäftigte von DB Netz - dem Infrastrukturbereich der DB AG, der heute DB InfraGo heißt. Ihnen wird vorgeworfen, sie hätten ihren Dienst nicht richtig ausgeführt, Meldungen nicht richtig weitergegeben und falsch beziehungsweise nicht richtig gehandelt.

Was ist über den Untersuchungsbericht bekannt?

In einem über 100 Seiten starken Untersuchungsbericht der Bundesprüfstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung, der BR24 vorliegt, findet sich eine akribische Analyse der Vorgänge vor dem Unglück und auch währenddessen. Darauf stützt sich die Anklage. Ein Lokführer hatte am Vortag eine Meldung über ein Schlenkern oder einen Schlag an der späteren Unfallstelle abgesetzt. Die Frage: Hat er das so gemacht, dass der Fahrdienstleiter, der in seiner Schicht für zwei Bereiche gleichzeitig zuständig war, es richtig verstehen konnte? Wurde den Hinweisen rechtzeitig nachgegangen oder sind Reparaturen verschleppt worden?

Welches Problem gab es mit den Betonschwellen?

Als Hauptursache für den Unfall wurden die schadhaften Betonschwellen identifiziert, bei denen der Stahl korrodiert war. Die Betonschwellen hatten Risse und waren teilweise zerbröselt. Laut dem Untersuchungsbericht waren solche Schwellenschäden mindestens ein Jahr vorher schon bekannt. Im Prozess stellt sich die Frage: Warum hat der Anlagen-Verantwortliche keine Langsamfahrstelle eingerichtet oder den Betrieb ganz eingestellt - und: hat bei seiner Entscheidung Druck aus einer oberen Führungsebene eine Rolle gespielt?

Was sagen Bahnbeschäftigte?

Beschäftigte sprechen anonym von "Organversagen" bei der Bahn. Sie kritisieren das systematische Abschieben der Verantwortung nach unten im Fall Burgrain. Fahrdienstleiter und ein Streckenverantwortlicher hätten aus ihrer Sicht durchaus in einem Interessenskonflikt gestanden: In den Pfingstferien 2022 waren viele Touristen Richtung Garmisch-Partenkirchen unterwegs. Der G7-Gipfel stand bevor und eine Streckensperrung hätte wohl nicht viel Beifall gefunden, sagen sie.

Bei vielen Bahnbeschäftigten ist die Erwartung, dass der Prozess diese Interessenskonflikte zu Tage fördert und den Druck durch Vorgesetzte belegt. Sie rechnen damit, dass es nach dem Verfahren zu einer geringen Strafe oder einem Freispruch für die Beschuldigten kommen könnte.

Was sagt ein Untersuchungsbericht im Auftrag des Bahn-Aufsichtsrats?

Ein großer Untersuchungsbericht, den die renommierte Anwaltskanzlei Gleiss Lutz im Auftrag des Bahn-Aufsichtsrats erstellt hat, ist in Teilen an die Öffentlichkeit gelangt. Dem Bericht zufolge waren die Missstände auch dem Bezahlungssystem geschuldet. Führungskräfte seien daran gemessen worden, wie pünktlich die Züge gewesen seien. Die Anlagen-Verantwortlichen seien deshalb von Vorgesetzten angehalten worden, "Pünktlichkeitsziele statt Sicherheitsziele" zu erreichen.

Was sagt die Bahn zu den Vorwürfen?

Die Bahn erklärt: Jede Form von Druck auf Anlagen-Verantwortliche zu Lasten der Sicherheit "widerspricht unserer Unternehmenskultur und wird nicht toleriert". Für die Vorstände und Aufsichtsräte stehe "Sicherheit an erster Stelle". Seit dem Unfall von Garmisch-Partenkirchen gebe es ein umfassendes Maßnahmenpaket. Die Führungskräfte seien "unmissverständlich darauf hingewiesen" worden, dass kein Druck auf Anlagen-Verantwortliche ausgeübt werde - andernfalls gebe es personelle Konsequenzen.

Was ist seit dem Unfall passiert?

Nach dem Unglück und dem Bericht hat die Bahn in Deutschland mehr als eine Million dieser Schwellen ausgetauscht. Die neue Konzernchefin Evelyn Palla hat außerdem einen umfangreichen Konzernumbau angekündigt. Entscheidungen sollen weniger in der Zentrale, sondern häufiger in den Regionen fallen, wo die Verantwortlichen selbst wüssten, was die dringendsten Probleme seien und wie die Summen, die der Bahn zur Verfügung stehen, am besten eingesetzt werden. Für Anfang Dezember hat Palla ein detailliertes Konzept angekündigt, das auch einen größeren Stellenabbau beinhalten dürfte. Denn in den vergangenen zehn Jahren ist vor allem der Verwaltungsbereich stark gewachsen, während im Betrieb überall Personal fehlt, bei den Fahrdienstleitern, in den Werkstätten und in der Instandhaltung.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!