Im Sommer erreicht die Wirtschaft eine dringende Bitte aus dem Kanzleramt. "Wir werden eine Reserve aufbauen müssen", sagt Friedrich Merz beim "Tag der Industrie". Der Kanzler und CDU-Chef ruft die Unternehmensvertreter dazu auf, ihren Mitarbeitern "hin und wieder mal die Gelegenheit zu geben, mit den Streitkräften zu üben und uns gemeinsam verteidigungsfähig zu machen".
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Dass solche Freistellungen keine Selbstverständlichkeit sind, wird zu Wochenbeginn auch bei einer Preisverleihung in München deutlich. Eingeladen haben Verteidigungsministerium und Reservistenverband, die regionale Industrie- und Handelskammer stellt ihre Räume zur Verfügung. Klaus Josef Lutz, Präsident der IHK München und Oberbayern, räumt ein, dass bei dem Thema zunächst "natürlich kein Hurra" zu hören sei. Schließlich würden Mitarbeiter zeitweise abgezogen. Und doch seien sich die Unternehmen ihrer Verantwortung bewusst.
Reserve: Pistorius appelliert an Wirtschaft
Eigentlich wollte auch Boris Pistorius an der Preisverleihung in München teilnehmen. Aber dann sagte der Verteidigungsminister kurzfristig ab, wegen "parlamentarischer Verpflichtungen". In Berlin suchen Fachpolitiker der Koalition gerade unter großem Zeitdruck einen Kompromiss in Sachen Wehrdienst.
Ein Ziel von Pistorius ist es, die Zahl der Reservisten zu erhöhen. Bis zum Ende des Jahrzehnts sollen es 200.000 sein. Das wären etwa viermal so viele wie jetzt. Und so appelliert auch der SPD-Minister ans Verantwortungsgefühl in den Chefetagen – notgedrungen per Videobotschaft: Sicherheit sei nicht nur Aufgabe der Bundeswehr, sondern auch von Politik und Wirtschaft.
Auch Mittelständler engagieren sich für Bundeswehr-Reserve
Sieben Firmen und Organisationen werden diesmal im Rahmen von "Partner der Reserve" ausgezeichnet. Dazu zählen Großunternehmen wie J. P. Morgan Deutschland und Google Deutschland, aber auch der Mittelstand ist vertreten: mit der inuwat AG aus Oberfranken, ARX Robotics aus Oberbayern und der baden-württembergischen Unternehmensgruppe Weingärtner. Hinzu kommen die Münchner Sicherheitskonferenz und die IHK Nordschwarzwald.
Immer wieder wird die Bereitschaft hervorgehoben, auch kurzfristig Beschäftigte für militärische Übungen freizustellen. "Sie alle leisten damit einen unverzichtbaren Beitrag für unsere Verteidigung", merkt Pistorius an. "Und Sie alle wissen: Gesellschaftliche Verantwortung endet nicht mit dem Feierabend."
Im Ernstfall würden Reservisten zum Beispiel dabei helfen, dass Deutschland seine Rolle als Nato-Drehscheibe erfüllen kann. Dann wäre es etwa ihre Aufgabe, Truppentransporte der Verbündeten abzusichern.
Reservisten zum Teil auch in der Chefetage
Martin Weingärtner zählt zu den aktuell rund 55.000 Reservisten im Land. Und er ist Geschäftsführer der Unternehmensgruppe Weingärtner, die im Elektromaschinenbau tätig ist. Zur Preisverleihung kommt der Topmanager in Uniform. Im Gespräch mit BR24 betont er, "dass wir über acht Prozent unserer Mitarbeiter freistellen, hier für das Land Dienst zu tun als aktive Reservisten".
Für sein Unternehmen sei das schon eine "gewisse Herausforderung", so Weingärtner. Aber Freiheit habe nun einmal ihren Preis. Und deshalb seien Unternehmen gefragt, Mitarbeitern den Dienst in der Reserve zu ermöglichen.
Reserve: Sogar ein Start-up leistet Beitrag
Mit ARX Robotics ist auch ein sehr junges Unternehmen unter den Preisträgern. Der Anbieter von selbstfahrenden Mini-Panzern ist erst vor wenigen Jahren an den Start gegangen. Mitgründer Stefan Roebel macht deutlich, mit welchen Rahmenbedingungen Start-ups zurechtkommen müssen: viel Arbeit, wenig Ressourcen. Und das alles mit einem Beitrag zur Reserve zu verbinden, sei "immer ein Spagat". Aber einer, der sich aus seiner Sicht lohnt. Schließlich sei die Firma gegründet worden, um die Modernisierung der Streitkräfte zu unterstützen.
Allerdings läuft die Zusammenarbeit mit der Truppe nicht immer so reibungslos wie im Fall der Preisträger. Manche Interessenten berichteten in der Vergangenheit von langen Wartezeiten, bis die Bundeswehr überhaupt reagiert habe. Stichwort: Bürokratie.
Darauf angesprochen, beschreibt Ralph Edelhäußer, Vizepräsident des Reservistenverbands und CSU-Bundestagsabgeordneter, dieses Szenario: Ein 58-jähriger Lkw-Fahrer meldet sich bei der Bundeswehr. Dann müsse es heißen: "Welche Möglichkeiten hast Du?" Statt den Interessenten "quasi am langen Arm verhungern" zu lassen.
Wenn die Reserve wie geplant wachsen soll, ist wohl nicht nur in der Wirtschaft Flexibilität gefragt. Sondern auch bei der Bundeswehr selbst.
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