Mitte September, in der ZDF-Sendung Maybrit Illner, befeuerte ausgerechnet Unions-Fraktionschef Jens Spahn die Debatte zur Vermögens- und Erbschaftsteuer. Er sagte dort zum Thema Vermögen in Deutschland: "Wer schon hatte, hat immer mehr." Die Vermögensverteilung sei ein Problem. Der Koalitionspartner begrüßte seine Aussagen. SPD-Chef Lars Klingbeil kündigte an, mit der Union Gespräche über die Erbschaftsteuer führen zu wollen. Er sehe "ein großes Möglichkeitsfenster". Auch Grüne und Linke sind für das Schließen von Lücken im Erbschaftsrecht.
Wie dem Staat Milliarden entgehen
Insgesamt wurden laut Schätzungen im vergangenen Jahr in Deutschland rund 400 Milliarden Euro vererbt, die festgesetzte Erbschaftsteuer belief sich allerdings lediglich auf rund 8,5 Milliarden Euro. Die allermeisten Erbschaften liegen nämlich unter den gesetzlichen Freigrenzen. Vor allem Unternehmen, die von den Erben weitergeführt werden, werden weitgehend von der Erbschaftsteuer verschont.
Beim Erbe gibt es je nach Verwandtschaftsgrad Freibeträge von bis zu 500.000 Euro. Für Betriebsvermögen kann die Grenze jedoch deutlich höher liegen. Bei einem Erbe von bis zu 26 Millionen Euro kann ein Verschonungsabschlag von 85 bis 100 Prozent gewährt werden. Unter Umständen muss dann überhaupt keine Steuer gezahlt werden. Vor allem durch die sogenannte Verschonungsbedarfsprüfung entgehen dem Staat pro Jahr mehrere Milliarden an Erbschaftsteuern. Sobald ein Erbe eines Großvermögens von über 26 Millionen Euro nachweisen kann, dass er die anfallende Steuer für das Erbe nicht aus seinem Privatvermögen vor der Erbschaft bezahlen kann, wird sie ihm erlassen.
Eine Reform ist politisch umstritten
Für die Union ist trotz Spahns Aussagen eine Reform der Erbschaftsteuer nur schwer vorstellbar. Wirtschaftsministerin Reiche lehnt höhere Steuern ab. Sie sagt, sie würden dem Standort eher schaden als nutzen. Diese Gefahr sehen viele. Belastungen für Unternehmen durch Steuern, Bürokratie und Energiepreise seien schon jetzt zu hoch, sagt etwa auch Thorsten Alsleben, der Geschäftsführer der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, einer von Arbeitgeberverbänden finanzierten Organisation, im Gespräch mit BR24. "Wenn jetzt noch eine Erbschaftssteuer obendrauf käme, würde das für viele das Fass zum Überlaufen bringen." Die Steuerlast sei im internationalen Vergleich ohnehin schon zu hoch, Deutschland werde ein unattraktiver Investitionsstandort, so Alsleben.
Für Lukas Ott vom Verein Bürgerbewegung Finanzwende, der sich nach eigenen Angaben für faire Finanzmärkte einsetzt, hält es dagegen für einen Mythos, dass Unternehmen wegen höherer Erbschaftsteuern abwandern könnten. Vielmehr sei das, was durch den Staat bereitgestellt wird – Infrastruktur, das politische System und das, was durch Steuergeld finanziert wird – viel wichtiger für die Standortwahl als die Höhe einer Erbschaftsteuer, sagt er BR24.
Die SPD pocht auf eine Änderung. Fraktionschef Matthias Miersch fordert eine höhere Beteiligung großer Vermögen an der Finanzierung des Sozialstaats. Noch in diesem Jahr wird ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Erbschaftssteuer erwartet. Es ist möglich, dass die Koalition das Erbschaftsrecht dann ohnehin ändern muss.
Durch eine Vermögensteuer könnten Milliarden eingenommen werden
Eine weitere Möglichkeit, die empfundene Gerechtigkeitslücke beim Vermögen zu verringern, ist die Vermögensteuer. In Deutschland gab es diese bereits bis 1996. Dann wurde sie abgeschafft und die Berechnung als verfassungswidrig erklärt. Julia Jirmann vom Netzwerk Steuergerechtigkeit, einem Zusammenschluss von Nichtregierungsorganisationen, sieht in einer Wiedereinführung ein großes Potenzial, die Einnahmen des Bundes aufzubessern. Sie sagt BR24, wenn beispielsweise Vermögen jenseits von 100 Millionen Euro mit zwei Prozent besteuert würden, könnte der Staat, je nach Ausgestaltung, zwischen zehn und 30 Milliarden Euro pro Jahr mehr einnehmen.
Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) muss für die Jahre 2027 bis 2029 eine Haushaltslücke von 172 Milliarden Euro schließen. Höhere Abgaben sind dazu eine Möglichkeit.
SPD, Linke und Grüne befürworten eine solche Vermögensteuer für besonders wohlhabende Menschen, sogenannte Superreiche. CDU und CSU dagegen lehnen eine Vermögenssteuer ab. Sie befürchten negative Effekte auf Investitionen und Wachstum. Ob es in der schwarz-roten Koalition zu einer Wiedereinführung kommen könnte, ist daher mehr als fraglich.
Im ARD-Talkformat "Mitreden! Deutschland diskutiert" geht es heute Abend um 20.15 Uhr auch um das Thema "Reiche stärker besteuern: Dringend nötig oder Neiddebatte?". Wie Sie sich beteiligen können, sehen Sie hier.
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