In vier Monaten ist Kommunalwahl. Doch das Bürgermeisteramt empfinden viele nicht mehr als Privileg, sondern als Bürde. Überbordende Bürokratie, Drohungen bis hin zu Gewalttaten. Was müssen sich Kommunalpolitiker alles gefallen lassen?
In vier Monaten ist Kommunalwahl. Doch das Bürgermeisteramt empfinden viele nicht mehr als Privileg, sondern als Bürde. Überbordende Bürokratie, Drohungen bis hin zu Gewalttaten. Was müssen sich Kommunalpolitiker alles gefallen lassen?
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In vier Monaten ist Kommunalwahl. Doch das Bürgermeisteramt empfinden viele als Bürde: überbordende Bürokratie bis hin zu Gewalttaten.
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In vier Monaten ist Kommunalwahl. Doch das Bürgermeisteramt empfinden viele als Bürde: überbordende Bürokratie bis hin zu Gewalttaten.

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Hass, Hetze und Gewalt: Bürgermeister am Limit

Hass, Hetze und Gewalt: Bürgermeister am Limit

In kleinen Gemeinden kennt jeder jeden. Das galt für Bürgermeister und Bürgermeisterinnen immer als Vorteil. Nahbarkeit, wer will das nicht. Aber was passiert, wenn Nähe missbraucht wird? Über ein Ehrenamt, das zunehmend unter Druck gerät.

Über dieses Thema berichtet: Kontrovers am .

Steinach in Niederbayern. 3.600 Einwohner, eine Bäckerei, zwei Kirchen, ein Schloss. Hier ist Christine Hammerschick, hauptberuflich Physiotherapeutin, seit 2020 ehrenamtliche Bürgermeisterin. Sie wollte immer eine nahbare Politikerin sein, bis ihr einer zu nah kam. Beim Besuch eines Eishockeyspiels in Straubing wurde sie von einem Bürger erkannt. Der Mann wollte plötzlich über längst Vergangenes mit ihr reden: "Und dann hat er mich volle Pulle am Kragen gepackt und fast nicht mehr losgelassen und (…) dann hat er mir noch nachgeschrien, sogar nachgespuckt", so Hammerschick im BR-Politikmagazin Kontrovers.

Der Täter hatte es bewusst auf die Bürgermeisterin abgesehen, das bestätigten später die Ermittlungen der Polizei. Drei Jahre liegt dieser Vorfall heute zurück, doch es blieb nicht dabei. Anfang des Jahres, Christine Hammerschick läuft nach einem Neujahrsempfang zu ihrem geparkten Auto. Zunächst dachte sie, das sei Folie, da auf ihrer Motorhaube. Dann die Erkenntnis: Jemand hatte ihren Wagen beschmiert. In großen, orangenen Lettern stand da "Sau". Mit Straßenmarkierungsfarbe.

Vorfall in Dingolfing: Polizei und Staatsschutz ermitteln

Die Steinacher Bürgermeisterin sagt, die Arbeit in der Kommunalpolitik sei härter geworden. Gerade weil dieses Nahverhältnis es für einige schwierig mache, auch emotional die Distanz zu wahren. Christine Hammerschick aber hält das nicht ab. Sie will jedenfalls weitermachen, jetzt erst recht.

Vor einigen Wochen in Dingolfing. Der Fall des Bürgermeisters Armin Grassinger schlug hohe Wollen. Bei einem Großbrand gingen eine Scheune und ein Auto in Flammen auf. Das Auto war der Dienstwagen des Bürgermeisters, nur unweit des Feuers stand Grassingers Wohnhaus. Polizei und Staatsschutz ermitteln.

Eigentlich hatte Grassinger erst vor wenigen Monaten bekannt gegeben, dass er wieder als Dingolfinger Bürgermeister kandidieren wolle. Dann trat er überraschend aus seinem Amt zurück, mit sofortiger Wirkung.

Bürger in Dingolfing zeigen Solidarität

Gazi Saglar betreibt in der Dingolfinger Innenstadt seit mehr als 40 Jahren ein Restaurant für türkische Spezialitäten. Er kennt den Bürgermeister persönlich – und zeigt sich im Gespräch mit Kontrovers betroffen: "Viele sind schockiert, wirklich. Also dass sowas passiert, in Deutschland, konnte ich mir nie vorstellen."

So wie Gazi Saglar geht es vielen Dingolfinger Bürgern. Vergangene Woche versammelten sie sich spontan auf dem örtlichen Marienplatz, um ihre Solidarität mit dem Bürgermeister zu bekunden. Mehrere Redner sprachen sich auf einer Bühne gegen Hetze und Gewalt aus – und für Zusammenhalt und Demokratie.

Ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass mehr als ein Drittel der Amtsträger im kommunalen Bereich in den vergangenen vier Jahren Hass, Hetze und Gewalt erfahren haben. Das belegt die Herbstbefragung des Kommunalen Monitorings. Rund drei Viertel davon waren verbale Anfeindungen, 3 Prozent aber waren tätliche Übergriffe.

Hubert Fischer: Wenn wir nicht demokratisch legitimiert sind, wer dann?

Und es ist nicht nur der Druck, die Anfeindungen, die Bürgermeister ans Limit bringen. Es ist auch die kleinteilige Bürokratie. Hubert Fischer, Stadtoberhaupt von Krumbach, will nach 18 Jahren aufhören. Ihm fehle das Vertrauen der Gesetzgeber, sagt er gegenüber Kontrovers: "Wir Gemeinden, wir Bürgermeister, wir Stadträte, wir sind direkt von unserer Bevölkerung gewählt. Also wenn wir nicht demokratisch legitimiert sind, wer denn dann?"

Für den Bau eines Kindergartens etwa braucht eine Gemeinde wie Krumbach, 14.000 Einwohner, ganze sechs Jahre. Aber nur dann, wenn es keinen Widerstand gibt. Immer mehr Vorgaben und Richtlinien, immer mehr Auflagen, der Verwaltungsaufwand sei kaum noch zu stemmen. Hubert Fischer ist mit 59 Jahren, nach drei Legislaturperioden, schlicht erschöpft. Bürgermeister könne nur sein, wer für seine Stadt tatsächlich Verantwortung übernimmt:

"Und das kannst du nicht abgrenzen. Das gibst du nicht am Freitagmittag auf und machst ein Wochenende. Das bist du sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr. Und das kostet auf Dauer einfach Kraft."

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