Mögliche Reaktionen auf Israels Angriffs auf iranische Militäreinrichtungen werden in den beiden Länder unterschiedlich diskutiert. Die iranischen Medien würden sich darum bemühen, das Ausmaß der Schäden herunterzuspielen. Teherans Regierungssprecher seien dabei, die "Rückkehr zur Routine" zu verkünden. Dazu zählten die rasche Wiederaufnahme der zivilen Flüge über dem iranischen Luftraum, des Warenverkehrs und der regulären Öffnungszeiten der Schulen.
Diese Einschätzung der Tageszeitung "Ha’aretz" wird durch die offiziellen Einlassungen der iranischen Führung untermauert: Die Angriffe aus Israel dürften "weder überbewertet noch verharmlost werden", gab Irans oberster geistiger Anführer Ayatollah Ali Chamenei am Sonntag als Losung aus. Der iranische Generalstab zeigte sich ebenfalls zurückhaltend: Sicherlich habe der Iran das Recht, "zum passenden Zeitpunkt zu reagieren". Doch der "Schwerpunkt" liege auf der Schaffung eines dauerhaften Waffenstillstands in Gaza und im Libanon.
Was spricht aus iranischer Sicht gegen eine weitere Eskalation?
Es dürften militärische wie politische Motive sein, die die iranische Führung davon abhalten könnten, erneut und zugleich heftiger auf den israelischen Vergeltungsschlag vom frühen Samstagmorgen zu reagieren. Entgegen den offiziellen Statements, wonach die Sachschäden "begrenzt" gewesen seien, dürfte die interne Schadensbilanz die iranische Führung weitaus nachdenklicher stimmen: Die israelische Luftwaffe habe bei ihren rund 100 Einsätzen unter anderem die wesentliche Schutzkomponente des iranischen Militärs ausgeschaltet: Die S 300 Luftabwehrsysteme, die das Regime von Russland gekauft und diese rund um seine wichtigsten zivilen und militärischen Einrichtungen in Stellung gebracht hat. So seien etwa die S 300 Luftabwehrsysteme in der Nähe der großen Hafenstadt Bandar Abbas am Persischen Golf getroffen, sowie diejenigen um die Erdöl-Raffinerie-Anlagen in der Provinz Ilam. Dies berichtete die "New York Times" unter Berufung aus iranische und israelische Sicherheitskreise.
Damit hat Israel nicht allein die Wirkungslosigkeit der von Moskau erworbenen S 300 Luftabwehr-Systeme aufgezeigt. Gleichzeitig wurde damit dem Regime in Teheran signalisiert, dass seine wichtigsten militärischen wie strategischen Einrichtungen derzeit weitgehend schutzlos einem erneuten israelischen Vergeltungsschlag preisgegeben sein würden – sollte der Iran auf die Angriffe vom Wochenende reagieren. Politisch hat die iranische Führung in den Wochen nach dem iranischen Raketenangriff auf Israel am 1. Oktober eine regelrechte diplomatische Blitzinitiative entfaltet. Das Ziel: Von den wichtigen arabischen Staaten außenpolitisch aufgewertet zu werden – als Kompensation für den offenkundigen Gesichtsverlust in der gegenwärtigen Konfrontation mit Israel. Diese Bemühungen wären im Falle einer iranischen Reaktion zunächst einmal dahin.
Was spricht aus israelischer Sicht gegen eine weitere Eskalation?
Premierminister Benjamin Netanjahu gebe oft "prahlerische Erklärungen" ab, wonach Israel in der Lage sei, "allein gegen den Iran vorgehen" zu können. In Wirklichkeit aber, so gibt der israelische Journalist Zvi Bar’el in der Zeitung "Ha’aretz" zu bedenken, "ist Israel dringend auf den Schutzschirm und die Unterstützung der USA angewiesen, die nicht nur einen Angriff ermöglichen, sondern vor allem Israels Heimatfront schützen." Diese zutreffende Einschätzung gilt bei israelischen wie westlichen Sicherheitsexperten als ein offenes Geheimnis. US-Präsident Joe Biden habe deshalb gegenüber Netanjahu massiv darauf gedrungen, keine Vergeltungsschläge gegen die iranische Erdölindustrie sowie gegen die iranischen Nukleareinrichtungen auszuführen.
Wenige Tage vor dem ungewissen Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen habe es sich Netanjahu mit keinem der beiden Spitzenkandidaten verscherzen wollen, schreibt die "New York Times". Ein "aggressiverer Schlag" Israels gegen den Iran "hätte die Beziehungen zu einer künftigen Harris-Administration verschlechtern können".
Einige Analysten sehen allerdings im Falle eines Wahlsieges von Donald Trump eine offensivere Option Israels voraus. Dann könnte Israel massiver gegen Teheran vorgehen und "beispielsweise Energie- oder Nuklearanlagen angreifen". Wie so zahlreiche sicherheitspolitische Entscheidungen, so hängt auch der Fortgang der Konfrontation zwischen Israel und dem Iran vom 5. November ab, von der Frage, ob Kamala Harris oder Donald Trump ins Weiße Haus einziehen wird.
Im Video: Israel greift militärische Ziele im Iran an (26.10.2024)
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