Am Ende, nach eineinhalb Stunden, sieht es fast so aus, als sei der Kanzler auf der Flucht. Friedrich Merz hatte eigentlich viel Zeit mitgebracht für die traditionelle Pressekonferenz vor der Sommerpause. Und zunächst spricht er – wenig überraschend – über die Erfolge seiner Regierung in schwieriger, herausfordernder Zeit. Um dem Ganzen mehr Nachdruck zu verleihen, ließ der Regierungssprecher sogar im Vorfeld ein "Faktenblatt" verteilen. Mit den "zehn wichtigsten, beschlossenen Maßnahmen", darunter Investitions-Sofortprogramm, Einführung temporärer Grenzkontrollen, Senkung der Stromsteuer etc.
Merz referiert dann auch ausführlich, dass er die deutsche Volkswirtschaft aus der Rezession holen will ("unsere erste Priorität"), wie er weniger irreguläre Migration erreichen will ("die Grenzkontrollen zeigen Wirkung") und was er im Bereich der Sozialpolitik anstrebt ("eine Kommission für die Reform der sozialen Sicherungssysteme"). Eigentlich viel Stoff.
Ein hitziges Thema, ein schmallippiger Kanzler
Aber gefragt wird Merz zunächst nur zu einem Thema: Wie geht es weiter mit der Wahl von Richtern zum Bundesverfassungsgericht. Gute zwanzig Minuten quälen Journalistinnen und Journalisten den CDU-Vorsitzenden und Bundeskanzler mit Fragen, Merz ist anzusehen, dass er damit wenig Freude hat. Seine Antworten sind leise, manchmal kaum hörbar, er wirkt angespannt, schmallippig. Zur Richterwahl sei "alles gesagt", es gebe "keinen Zeitdruck", handwerklich sei das "nicht gut gelaufen", man werde zu einer Lösung kommen. Wie allerdings diese Lösung aussehen soll, dazu bleibt der Kanzler seltsam verschlossen. Fest steht: Friedrich Merz geht davon aus, dass es der Name von Frauke Brosius-Gersdorf, der Kandidatin der SPD für ein Richteramt am Bundesverfassungsgericht, kein zweites Mal auf einen Wahlzettel schafft, über den dann die Bundestagsabgeordneten abstimmen.
Seine persönliche Meinung über die Eignung der Kandidatin muss man ihm aus der Nase ziehen, ihren Auftritt in der ZDF-Sendung von Markus Lanz hat er sich nicht angesehen, aus Zeitgründen. Zum Vorschlag des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU), runterzukommen und die Sommerpause für eine Abkühlung zu nutzen, sagt er nur: "Abkühlen über den Sommer ist eine gute Empfehlung". Merz allerdings wirkt so, als würde er eher ein Wärmekissen brauchen und keine kalte Dusche.
Merz bedauert Umgang mit Frauke Brosius-Gersdorf
Die hitzige Debatte um die Richterin empfindet er ohnehin als besorgniserregend, auch wie sie in den sozialen Medien geführt wurde und wird. Er habe schon seit längerer Zeit Sorge, "dass diese aufgeheizte Atmosphäre uns als Demokratie nicht guttut". Und dann bedauert er ausführlich, wie mit Frauke Brosius-Gersdorf umgegangen wurde: Was sie in den letzten Wochen erlebt habe, sei "völlig inakzeptabel". "Die Kritik, die da teilweise geäußert wurde, ist unsachlich gewesen, polemisch, zum Teil persönlich beleidigend und herabsetzend".
Merz wirbt dafür, "mit solchen Sachverhalten ruhig, nüchtern, gelassen" umzugehen, um so einen Dienst an der Demokratie zu leisten. Ob er damit seine eigenen Leute aus der Unionsfraktion meint, bleibt offen. Generell hört man von Merz jedoch wenig Kritisches: Trotz aller Differenzen aus den vergangenen zwei Monaten und dem heftigen Krach über die Richterwahl stehe die Arbeit der Regierungskoalition auf einem "stabilen Fundament".
Ein optimistischer Kanzler
Das wird es auch brauchen, weil Merz einen "Herbst der Sozialreformen" angekündigt hat. Das Bürgergeld soll zum ersten Januar 2026 anders heißen und anders aussehen: Eine neue Grundsicherung soll es ersetzen. Er hoffe, dass er mit der SPD zu guten, tragfähigen Entscheidungen komme. "Wir brauchen eine bessere Grundstimmung", sagt der Kanzler – und meint damit auch die Lage im Land. Er höre oft, das Glas sei halb leer, seiner Ansicht nach müsste es heißen "das Glas ist drei Viertel voll". So viel Optimismus hat selbst der selbsternannte "Kanzler der Zuversicht", Olaf Scholz, nicht an den Tag gelegt.
Woher Merz diesen Optimismus nimmt, wird nicht klar. Angesichts riesiger Löcher in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung, steigender Sozialbeiträge und dem Klimawandel, den er immerhin auf Nachfrage am Ende nochmal adressiert: "Wir machen uns alle große Sorgen."
Dann sind eineinhalb Stunden um. Man hätte gerne gewusst, ob und wie Friedrich Merz die AfD halbieren möchte oder wohin er in den Urlaub fährt. Aber nein: Aufbruch, und ab.
Video: Fragen an Merz - Kanzler gibt Sommer-Pressekonferenz
Bundeskanzler Merz hat auf der traditionellen Sommer PK in Berlin erste Bilanz gezogen.
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