Henning Otte steht an diesem Donnerstagmorgen lächelnd in einem Saal auf der Präsidialebene des Reichstagsgebäudes. Links die europäische Flagge, rechts die deutsche. In seinen Händen: eine graue Mappe mit Bundesadler. Seine Ernennungsurkunde, überreicht von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner. Kurz danach wird der CDU-Politiker im Plenarsaal vereidigt. Damit hat der Bundestag einen neuen Wehrbeauftragten, zuständig für mehr als 180.000 Soldatinnen und Soldaten.
Pistorius: Bundeswehr braucht 60.000 Soldaten mehr
Ihre Zahl soll steigen, damit die Bundeswehr den Aufgaben der Bündnis- und Landesverteidigung nachkommen kann. Daran erinnert der Verteidigungsminister zur gleichen Zeit rund 700 Kilometer weiter westlich, beim Treffen mit seinen Kollegen aus den anderen Nato-Staaten in Brüssel. Aus Sicht von Boris Pistorius muss die Truppengröße um bis zu 60.000 ansteigen. Zugleich stellt sich nach den Worten des SPD-Politikers die Frage, ob der neue Wehrdienst mittelfristig ausreichen wird.
Das scheint auch für den neuen Wehrbeauftragten keineswegs ausgemacht zu sein. Otte sieht das Personalproblem der Truppe als besonders dringlich an, wie er im BR24-Interview deutlich macht: "Wir dürfen nicht immer mehr auf die Schultern der jetzigen Soldatinnen und Soldaten packen." Das geplante Wehrdienstmodell begrüßt der CDU-Politiker, sagt aber auch: "Sollte das nicht ausreichen, muss es verpflichtend sein."
Neuer Wehrdienst: Otte für rasche Zwischenbilanz
Der CDU-Politiker schlägt vor, bald nach dem Start des neuen Modells eine Zwischenbilanz zu ziehen. Und gleich zu reagieren, wenn der Personalausbau auf freiwilliger Basis zu langsam gehen sollte. Vorgesehen ist, dass der neue Wehrdienst Anfang nächsten Jahres in Kraft tritt. Junge Leute sollen dann gefragt werden, ob sie bereit und fit genug für Aufgaben bei der Truppe sind. Männer müssen, Frauen können antworten. Eine bestimmte Anzahl von ihnen soll dann gemustert werden. Die Bundesregierung hofft, so Jahr für Jahr 5.000 Freiwillige zusätzlich für die Bundeswehr zu gewinnen.
Auch manche in der Opposition fordern, das Problem so schnell wie möglich anzugehen. Niklas Wagener von den Grünen spricht von einem "Personalnotstand bei der Bundeswehr". Der unterfränkische Verteidigungspolitiker setzt allerdings auch darauf, dass sich der neue Wehrbeauftragte um die Infrastruktur kümmert. Von seinen Truppenbesuchen in Bayern wisse er, dass der Zustand der Kasernen auch hier ein großes Thema sei. Ausbau und Modernisierung gehen aus Sicht von Wagener zu langsam voran. Er spricht sich dafür aus, Planungsprozesse bundesweit zu erleichtern.
Neuer Wehrbeauftragter lobt bayerisches Gesetz
In Bayern gibt es bereits ein eigenes Bundeswehrgesetz, das unter anderem militärische Bauvorhaben beschleunigen soll. Nach Ansicht von Otte hat der Freistaat damit gezeigt, wie man Fortschritte bei Planungs- und Genehmigungsprozessen erzielt. "Zeitenwende muss jetzt bedeuten: nicht nur mehr Fähigkeiten, sondern auch schneller in Gang zu kommen."
Drei Jahre nach der berühmten Bundestagsrede des damaligen Kanzlers Olaf Scholz zeichnet der Wehrbeauftragte ein durchwachsenes Bild: Es habe sich viel getan, aber es gebe immer noch Probleme. Und nach wie vor gelte: "Die Bundeswehr braucht von allem mehr." Mehr Personal, aber auch mehr Material wie moderne Panzer und Drohnen.
Aufgaben: Truppenbesuche und direkter Kontakt
In seinem neuen Amt wird der Niedersachse viel herumkommen. Seine Vorgängerin Eva Högl von der SPD hat es allein vergangenes Jahr auf rund 100 Truppenbesuche gebracht. Auch Otte will sich vor Ort einen Überblick verschaffen, wo Defizite angegangen werden müssten. Erfahrung fürs neue Amt bringt er jedenfalls mit: als langjähriger Verteidigungspolitiker und Reserveoffizier.
Als Wehrbeauftragter kann Otte auch unangekündigt in Kasernen vorbeischauen, um ein ungeschöntes Bild zu erhalten. Außerdem haben Soldatinnen und Soldaten sowie ihre Familienangehörigen die Möglichkeit, sich direkt an ihn zu wenden. Und davon machen viele Gebrauch: Vergangenes Jahr lag die Zahl solcher Eingaben bei fast 2.500.
Im Video: Auf Otte kommt viel Arbeit zu
Mehr Menschen sollen sich für den Soldatenberuf entscheiden. Daran mitarbeiten, dass die Bundeswehr attraktiver wird, wird auch er: Henning Otte.
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