PKK-Kongress im Nordirak
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PKK löst sich auf: "Historischer" Schritt – wie geht es weiter?

PKK löst sich auf: "Historischer" Schritt – wie geht es weiter?

Der blutige Kurdenkonflikt prägte die Türkei seit mehr als 40 Jahren. Nun löst sich die PKK auf. Man hoffe auf eine demokratische Lösung. Ein echter Friedensprozess kann nur mit einer Demokratisierung einhergehen. Kann dies unter Erdoğan gelingen?

Über dieses Thema berichtet: BAYERN 3-Nachrichten am .

Seit Monaten wurde verhandelt, nun hat die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ihre Auflösung und das Ende ihres jahrzehntelangen Kampfes gegen den türkischen Staat verkündet. Die PKK erklärte, dass sie ihre "historische Mission" (Externer Link auf Türkisch) erfüllt habe und durch ihren bewaffneten Kampf "die kurdische Frage an einen Punkt gelangt sei, an dem sie nun durch eine demokratische Politik gelöst werden kann". Die türkische Regierung nannte den Schritt "historisch". "Die Entscheidung der PKK ist eine historische und wichtige Entscheidung, insbesondere im Hinblick auf den dauerhaften Frieden und die Stabilität in unserer Region", sagte der türkische Außenminister Hakan Fidan.

Was passiert mit den Waffen?

Berichten zufolge gibt es bereits Pläne zur Entwaffnung. "Die PKK-Kämpfer und Kämpferinnen sollen ihre Waffen abgeben, nicht an das türkische Militär, sondern im jeweiligen Land, in dem sie sich befinden, unter Aufsicht der Vereinten Nationen", sagt Hürcan Aslı Aksoy, Leiterin des Centrums für angewandte Türkeistudien (CATS) BR24. "Alle ausländischen Kämpfer sollen in ihre eigenen Länder zurückgehen. Die Führungselite könnte in Drittländer gehen. Man spekuliert darüber, ob das auch skandinavische Länder sein könnten oder auch Südafrika."

Möglicherweise folgen nicht alle Kämpfer dem Aufruf

Auch wenn die PKK im Irak durch die anhaltenden türkischen Angriffe geschwächt ist, ist unklar, ob alle Kämpfer dem PKK-Aufruf folgen werden. "Wahrscheinlich wird ein Teil der Kämpfer ihre Waffen niederlegen", so Aksoy. "Aber es ist vorstellbar, dass ein kleinerer Teil dies verweigern kann."

Der Angriff auf ein Rüstungsunternehmen in Ankara im Oktober vergangenen Jahres soll zum Beispiel von einer Gruppe verübt worden sein, die den Auftrag nicht direkt von der PKK bekommen habe. Bei dem Anschlag damals starben fünf Menschen. Insgesamt sind seit 1984 etwa 40.000 Menschen getötet worden.

Öcalan soll den Prozess vom Gefängnis aus koordinieren

Koordinieren soll die Auflösung PKK-Chef Abdullah Öcalan. Der 76-Jährige ist seit 1999 auf der Gefängnisinsel Imrali im Marmarameer inhaftiert. Es ist unklar, ob die türkische Regierung mit Öcalans weiterer führenden Rolle einverstanden ist. Man werde die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um einen reibungslosen Übergang zu einem "terrorfreien" Land zu gewährleisten, so der Leiter des Büros von Präsident Recep Tayyip Erdoğan.

Eine Freilassung von "Apo" – wie er von Kurden genannt wird – steht derzeit offenbar nicht im Raum, auch wenn dies der Chef der mit Präsident Erdoğan verbündeten ultranationalistischen Partei MHP, Devlet Bahceli, vor Monaten in Aussicht gestellt hatte. Aksoy: "Aber es könnte mehr Freiheiten für ihn geben, so eine Art Hausarrest auf der Gefängnisinsel Imrali, dass er zum Beispiel ein Arbeitszimmer bekommt, um für den Prozess arbeiten zu können." Auch Treffen mit Familienangehörigen und politischen Weggefährten sollen Berichten zufolge häufiger stattfinden können.

Videoschalte mit Öcalan

Ein Verantwortlicher von Erdoğans AKP erklärte, Öcalan selbst habe erklärt, die Gefängnisinsel nicht verlassen zu wollen. "Er weiß, dass er ein Sicherheitsproblem hat, sobald er herauskommt", sagte er. Berichten zufolge soll Öcalan beim 12. Kongress mit 232 Delegierten im Nordirak, bei dem in der vergangenen Woche der historische Schritt zur Auflösung beschlossen worden war, per Videoschalte dabei gewesen sein.

Innenpolitischer Erfolg für Erdoğan

Vermutlich ist der von der MHP angestoßene und von der AKP unterstützte Friedensprozess nicht ganz uneigennützig. Innenpolitisch wird die Regierung die Auflösung als Erfolg verbuchen. Und: Beobachter sehen die Annäherung auch als Vehikel zur weiteren Spaltung der Opposition.

Der prokurdischen DEM-Partei etwa wurde unterstellt, sich in ihrer Kritik an der Verhaftung und Absetzung des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu von der Oppositionspartei CHP zugunsten des Friedensprozesses zurückgehalten zu haben. Die DEM – drittgrößte Partei im Parlament und Vermittlerin zwischen Regierung und Öcalan – bestreitet das. 

Zugeständnisse für kurdische Stimmen?

Spekuliert wird auch über einen möglichen Deal: Zugeständnisse für Kurden im Gegenzug für Stimmen der DEM-Partei für eine mögliche Verfassungsänderung oder für eine vorzeitige Auflösung des Parlaments, um Neuwahlen zu ermöglichen. Nur so könnte sich Erdoğan eine dritte Amtszeit sichern.

Ob kurdische Politiker Erdoğan dafür ihre Stimme geben würden, hängt nach Einschätzung der Wissenschaftlerin Aksoy auch davon ab, "ob kurdische Politiker wie der inhaftierte Selahattin Demirtaş oder auch andere inhaftierte, kurdische Politiker freigelassen und ihre Ämter zurückbekommen werden." Demirtas – lange Zeit Hoffnungsträger der türkischen Opposition – ist seit 2016 inhaftiert.

Führt die Auflösung der PKK zu mehr Demokratie?

Beobachter sagen, ein ernsthafter Friedensprozess könne nur mit einer Demokratisierung einhergehen. "Dies wird auch eine grundlegende Änderung der offiziellen Staatsdoktrin der Türkei erfordern", erklärte Tayip Temel, stellvertretender Vorsitzender der DEM. Ob dies unter der Führung des zunehmend autoritär regierenden Erdoğan geschehen kann, bezweifeln viele.

Die Türkei-Expertin Gönül Tol vom Middle East Institute in den USA vermutet, dass es Erdoğan in erster Linie um eine "Konsolidierung seiner Macht" gehe. Auch Aksoy sagt: "Die Auflösung der PKK ist sehr wichtig für die Zukunft des Landes. Die kurdische Frage war immer die größte Hürde für die Demokratisierung der Türkei. Aber ob die Auflösung der PKK zu mehr Demokratie in der Türkei führen wird, da habe ich große Fragezeichen."

Mit Informationen von AFP, dpa, Reuters

Zum Audio: PKK löst sich auf

1.3.2025 Diyarbakir: Junge Männer zeigen ein Bild von PKK-Chef Öcalan.
Bildrechte: picture alliance / ZUMAPRESS.com | Mehmet Masum Suer
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