Prozessauftakt: Der inhaftierte und abgesetzte Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu spricht von einem politischen Prozess.
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Prozessauftakt: Der inhaftierte und abgesetzte Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu spricht von einem politischen Prozess.

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Türkei: Imamoglu spricht von politischem Prozess

Türkei: Imamoglu spricht von politischem Prozess

Die Prozesse heute gegen den abgesetzten Istanbuler Oberbürgermeister haben nichts mit seiner Inhaftierung vor kurzem zu tun. Die CHP und viele Anhänger sehen dennoch einen Zusammenhang - die Vorwürfe gegen Ekrem Imamoglu seien politisch motiviert.

Der inhaftierte und abgesetzte Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem Imamoglu hat beim Prozessauftakt wegen des Vorwurfs der Bedrohung eines Staatsanwalts ausgesagt. Imamoglu erschien persönlich in Silivri vor Gericht. "Ich bin immer jemand, der versöhnt", sagte Imamoglu, wie die Zeitungen "Cumhuriyet" und der Sender Halk TV berichteten.

Er stehe vor Gericht, weil er drei Wahlen gegen die Person gewonnen habe, "die glaubt, Istanbul zu besitzen", sagte Imamoglu in Anspielung auf Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, der seine politische Karriere in den 1990er Jahren als Bürgermeister der Stadt begonnen hatte. Gefordert werden eine Freiheitsstrafe von bis zu sieben Jahren und vier Monaten sowie ein Politikverbot. 

Anwalt kritisiert Ort des Prozesses

Ein Anwalt Imamoglus kritisierte, dass der Prozess nicht im Istanbuler Gerichtsgebäude stattfand, sondern in Silivri, wo Imamoglu inhaftiert ist. Durch die Entfernung - Silivri liegt etwa 70 Kilometer westlich von Istanbul - seien die Zugangsbedingungen erschwert, das verstoße das gegen das Öffentlichkeitsprinzip eines Prozesses, so der Anwalt.

Unterstützer vor dem Gefängnis

Dennoch versammelten sich vor dem Gefängnis Unterstützer von Imamoglu. "Ich finde, dass kein Bürgermeister, keine Journalisten, keine Studenten oder sonst jemand so eine Ungerechtigkeit verdient. Wenn es in der Türkei Recht, Gesetz und Gerechtigkeit gibt, müssten sie sofort freigelassen werden", sagte eine Protestierende vor dem Gefängnis.

Weitere Prozesse stehen an

Am Nachmittag geht es in einem anderen Prozess um Betrugsvorwürfe bei Ausschreibungen im Jahr 2015 in seiner Zeit als Bezirksbürgermeister im Istanbuler Stadtteil Beylikdüzü. Bei dem Prozess ist Imamoglu nach Angaben seines Anwaltes nicht vor Ort. Auch in diesem Fall drohen dem Politiker eine Haftstrafe und ein politisches Betätigungsverbot.

Die beiden Verfahren haben inhaltlich nichts mit der jüngsten Festnahme Imamoglus am 19. März und der anschließenden Verhaftung wegen Korruptions- und Terrorvorwürfen zu tun. Die Opposition sowie Kritiker werfen der Regierung vor, aus politischen Gründen gegen den größten Rivalen von Erdogan vorzugehen.

Hunderttausende gingen auf die Straßen

Imamoglus Festnahme löste die größte innenpolitische Krise seit vielen Jahren in der Türkei aus. Hunderttausende demonstrierten. Die CHP ruft weiter zu Protesten auf: immer mittwochs in Istanbul, immer samstags in einer anderen türkischen Stadt. Zuletzt versammelten sich im Istanbuler Stadtteil Sisli diese Woche mehr als 10.000 Menschen. Die Polizei ging in den vergangenen Wochen teils mit Tränengas, Wasserwerfern und Schlagstöcken gegen die Protestierenden vor: Berichten zufolge wurden rund 2.000 Menschen festgenommen.

Zwei Journalisten wieder frei

Unterdessen sind die beiden am Donnerstag festgenommenen Investigativ-Journalisten, Timur Soykan und Murat Agirel, wieder freigelassen worden. Sie dürfen aber das Land nicht verlassen. Sie seien wegen "Drohungen" und "Erpressung" im Zusammenhang mit dem Verkauf eines Fernsehsenders festgenommen worden, erklärte die Generalstaatsanwaltschaft von Istanbul am Donnerstag. 

"Wir haben nur unsere Arbeit als Journalisten gemacht", sagte dagegen Soykan nach seiner Freilassung. Die oppositionellen Zeitungen "Birgün" und "Cumhuriyet", für die die beiden Journalisten arbeiten, verurteilten die Festnahmen. Die Journalisten seien auch wegen ihrer Recherchen zur Verhaftung von Imamoglu ins Visier der Justiz geraten. Sie hatten Unregelmäßigkeiten bei den Ermittlungen gegen Imamoglu in einer Youtube-Sendung angeprangert, hieß es. Auch 59 junge Demonstranten kamen frei, die wegen der Teilnahme an nicht genehmigten Protesten gegen die Inhaftierung des Bürgermeisters festgenommen worden waren. Ein Gericht ordnete ihre Freilassung an.

CHP fordert Neuwahlen

Die CHP fordert vorgezogene Neuwahlen und die Freilassung Imamoglus, den sie in Abwesenheit bereits zum Präsidentschaftskandidaten gewählt hat. Zuletzt hatte die Partei auch Boykott-Aufrufe gegen regierungsnahe Unternehmen unterstützt. Die Regierung reagierte darauf sehr empfindlich. Erdogan sagte: "Das Verständnis der CHP von Freiheit gilt nur für sie selbst und eine Handvoll Eliten. Die CHP ist die Verkörperung des Faschismus in Fleisch und Blut."

Mit Informationen von AP, AFP und dpa

Im Audio: Türkei - Imamoglu spricht von politischem Prozess

Proteste vor dem Gefängnis in Silivri
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Proteste vor dem Gefängnis in Silivri

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