Am 1. Oktober wacht München mit einer Schreckensnachricht auf: Im Norden der bayerischen Landeshauptstadt brennt ein Haus. Polizei und Feuerwehr berichten von einem "größeren Einsatz". Dann wird bekannt: In dem Gebäude sind Sprengfallen. Wegen einer Bombendrohung öffnet das Oktoberfest erst am späten Nachmittag. Bei den Ermittlungen kommt auch die Analysesoftware VeRa zum Einsatz – "im Rahmen der Gefahrenabwehr". Mehr teilt das Innenministerium auf BR-Anfrage nicht mit.
Die Polizei in Bayern nutzt die Palantir-Software, um Informationen aus unterschiedlichen Datentöpfen zusammenzuführen. Auch Hessen und Nordrhein-Westfalen nutzen die Software. Baden-Württemberg will 2026 mit dem Betrieb starten.
Palantir auch für Bundesbehörden? Dobrindt prüft
Ob auch Bundespolizei und Bundeskriminalamt die Software des umstrittenen US-Unternehmens in absehbarer Zeit einsetzen werden, ist weiterhin offen. Auf Anfrage teilt das Bundesinnenministerium mit, derzeit werde geprüft, "wie der Service für Datenanalyse beschleunigt für die Polizeien von Bund und Ländern implementiert werden kann". Aufgrund von fachlichen Anforderungen würden "verschiedene Optionen ergebnisoffen näher betrachtet". Welche das sind, verrät das Ministerium nicht.
Der Innenexperte der Grünen-Bundestagsfraktion, Konstantin von Notz, kritisiert, dass Bund und einige Länder lange den Eindruck erweckten, Palantir sei alternativlos: "Das Bundesinnenministerium hat sich viel zu lange auf diese eine Lösung fixiert. Es ist wichtig, dass man eine Lösung wählt, die am Ende unserer digitalen Souveränität dient."
Alternativen zu Palantir aus Deutschland?
BR Recherche hat zehn deutsche Hersteller angeschrieben, die im Bereich Analyse von großen Datenmengen aktiv sind, und gefragt, ob sie in der Lage wären, eine einsatzbereite Software zur Verbrechensbekämpfung zur Verfügung zu stellen. Zwei dieser Firmen, Aleph Alpha und SAP, wollten sich nicht äußern.
Fünf Unternehmen gaben an, eine sofort einsetzbare Analyse-Software liefern zu können. So schreibt die Firma One Data GmbH aus Passau, sie könne "Millionen von Datensätzen nahezu in Echtzeit prozessieren und analysieren, was vergleichbar ist mit den Fähigkeiten, die Palantir anbietet".
Auch die Innosystec GmbH aus der Nähe von Konstanz teilt mit, sie könnte "eine sofort verfügbare Alternative zum Produkt der US-Firma Palantir bereitstellen. Das Produkt ist seit vielen Jahren in nationalen und internationalen Sicherheitsbehörden im Einsatz".
Die FSZ GmbH aus Metzingen betont, ihre Analyse-Plattform namens "Yoonite", die ursprünglich für die Daimler AG entwickelt worden ist, sei als Alternative zu Palantir "sofort einsatzbereit". Genau so äußert sich die Firma Almato AG aus Stuttgart über ihre Software namens Bardioc.
Mehrere Firmen verweisen auf die Vorteile solcher Software-Entwicklungen aus Deutschland: Deutsche Datenschutzstandards würden bei solchen "souveränen Lösungen" beachtet. Es gäbe keine Abhängigkeiten vom Ausland. Secunet aus Essen führt aus, dass Palantir, als weltweit tätiger und großer Anbieter, Skaleneffekte nutzen könne, "aber wer souveräne und nachprüfbar sichere Lösungen sucht, sollte sich anderweitig umschauen".
Deutsche Anbieter im Gespräch mit Behörden
Aus der BR-Firmenumfrage geht auch hervor, dass die Polizeibehörden und Innenministerien deutsche Anbieter mittlerweile zumindest wahrnehmen. Mehrere Unternehmen berichten, sie hätten ihre Lösungen präsentieren können. Die Resonanz sei aber verhalten. Ein Anbieter schreibt, es müsse konstatiert werden, dass bei den Behörden "das Interesse unerwartet schwach ausfiel".
Vorfestlegung auf Palantir?
Das LKA Bayern hat 2022 nach einer europaweiten Ausschreibung federführend für Bund und Länder einen Rahmenvertrag mit Palantir abgeschlossen. Von dreizehn Bewerbern kamen damals drei in die engere Wahl.
Allerdings bewarb sich etwa der deutsche Hersteller Innosystec erst gar nicht auf die Ausschreibung wegen "mangelhafter Erfolgsaussichten, da Palantir schon als großer Favorit galt".
Almato teilte dem BR auf Anfrage mit, aufgrund seiner langjährigen Zusammenarbeit für öffentliche Auftraggeber sei "bei Ausschreibungen sehr treffsicher erkennbar, ob es bereits eine Vorfestlegung für einen Anbieter gibt oder nicht. Ist dies der Fall, macht eine Teilnahme für unser Haus regelmäßig keinen Sinn".
Palantir habe als einziges Unternehmen alle wesentlichen Kriterien für die Auftragsvergabe erfüllen können, so das Innenministerium in Bayern: "Eine Vorfestlegung auf den Anbieter Palantir fand somit nicht statt".
Bund und Länder durch Rahmenvertrag an Palantir gebunden?
Der Rahmenvertrag hat eine Laufzeit von fünf Jahren. Ist es möglich, alternative Anbieter zu beauftragen? Die Fraktion der Grünen im Bundestag ließ diese Frage von den Wissenschaftlichen Diensten des Deutschen Bundestages prüfen. Zu einem eindeutigen Ergebnis kam die juristische Beurteilung nicht.
"Ich würde mir wünschen, dass Behörden und der Staat es im Kreuz haben, selbst mehr zu entwickeln und Modelle zu finden, wie man sich nicht von privatwirtschaftlichen Unternehmen komplett abhängig macht", fordert Konstantin von Notz.
Europol hat Zusammenarbeit mit Palantir beendet
Die EU-Polizeibehörde Europol hat die amerikanische Analyse-Plattform ab 2012 eingesetzt, unter anderem bei der Terrorismusbekämpfung. Im Laufe der Zeit sei allerdings klar geworden, dass die Palantir-Software nicht "den erwarteten betrieblichen Anforderungen gerecht werden würde".
Inzwischen setzte Europol auf "eine einzige gemeinsame Datenspeicherplattform", die "unter der internen Leitung von Europol entwickelt und gepflegt wird und den Anforderungen besser entspricht", so Europol. Auch die US-Polizeibehörden in Los Angeles und New York setzen nicht mehr auf Palantir.
Im Video: Palantir - Gibt es deutsche Alternativen zur US-Software?
Palantir kann Bayerns Polizei Informationen zu Tätern schnell zusammenführen
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