Manfred Gößl, Hauptgeschäftsführer der IHK für München und Oberbayern, bringt die Dringlichkeit in der Münchner Runde auf den Punkt: "Wenn ihr, liebe Politik, die Reformen nicht wirklich jetzt angeht, dann wird die Bevölkerung total die Akzeptanz verlieren." Von allen Reformen des Sozialstaats, die aktuell diskutiert werden, bereite die Rentenversicherung der Wirtschaft die größte Sorge.
Das Grundproblem: die alternde Gesellschaft. Es gehen zu viele Menschen in Rente – und zu wenige junge Erwerbstätige kommen nach. Allein in Bayern "verlieren wir jedes Jahr 50.000 Erwerbsfähige nur aufgrund des Alterungsprozesses", so Gößl im BR Fernsehen: "Das ist eine riesige Herausforderung für die Gesellschaft, die wir so noch nie hatten."
Rentenausgaben: Größter Einzelposten im Haushalt
Einem Rentner standen Ende 2023 nur noch 2,2 Erwerbstätige gegenüber, in den 1960er-Jahren waren es noch sechs. Tendenz: weiter sinkend. Der Staat muss diese Unwucht mit Steuermitteln auffangen. Im Haushaltsentwurf für 2025 machen allein die Zuschüsse zur Rente 122,5 Milliarden Euro aus. Insgesamt liegen die Rentenausgaben im Bundeshaushalt sogar bei 134,39 Milliarden Euro – bei einem Gesamtbudget von 502,5 Milliarden ist das mit Abstand der größte Einzelposten.
Müssen die Deutschen länger arbeiten?
Für den Arbeitgebervertreter Gößl ist daher klar: "Der größte Hebel wäre bei der längeren Lebensarbeitszeit." Er nannte das Beispiel Dänemark. Dort steigt das Renteneintrittsalter bis 2040 auf 70 Jahre.
"Wir diskutieren das in Deutschland zu sehr immer auf das Rentenalter bezogen", konterte der Vorsitzende des DGB Bayern, Bernhard Stiedl. Auch er forderte von der Politik Reformen, aber von einer anderen Warte aus: "Menschen, die täglich arbeiten, haben damit zu kämpfen, dass sie einigermaßen über die Runden kommen." Die Durchschnittsrente einer Frau in Bayern betrage derzeit 960 Euro.
Man müsse bei der Rente auch die Einnahmeseite berücksichtigen. Eine gängige Forderung ist, dass auch Beamte und Selbstständige in die Rentenkasse einzahlen sollten – ähnlich wie in Österreich. Experten sind skeptisch. Denn die Neuzugänge erwerben mit jedem Euro, den sie einzahlen, auch Ansprüche, die die Rentenkassen später an sie auszahlen müssen.
Schwarz-rote Uneinigkeit
Eine weitere große Stellschraube ist die Arbeits- und Steuerpolitik. Während die Unionsvertreter vor allem auf eine Reform des Sozialstaats drängen, inklusive Kürzungen beim Bürgergeld, besteht die SPD auf eine Steuerreform: Kleinere und mittlere Einkommen sollen entlastet werden, auch um die Kaufkraft und damit die Wirtschaft anzukurbeln.
Einig waren sich in der Münchner Runde Michael Schrodi (SPD), parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, und die bayerische Arbeits- und Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU): Man müsse mehr Menschen in Arbeit bringen.
"Wir haben 1,8 Millionen arbeitsfähige Menschen, die im Bürgergeldbezug sind", sagte CSU-Politikerin Scharf. Hier könnten Sanktionen Anreize bieten und die Sozialausgaben senken. "Aber dazu braucht man auch einen starken Sozialstaat", plädiert der Sozialdemokrat Schrodi: "Dazu braucht man auch Menschen, die Hilfe anbieten, damit Menschen wieder in Arbeit kommen."
Rente: Kommission bis 2027
Bei der Rente warben beide Politiker um Geduld. "Dieses System ist unglaublich komplex", so Bayerns Arbeits- und Sozialministerin Ulrike Scharf. Deshalb setze ihre Kollegin auf Bundesebene, Bärbel Bas (SPD), eine Rentenkommission ein. Diese soll im kommenden Jahr ihre Arbeit beginnen und bis 2027 Vorschläge erarbeiten.
Zum Video: Michael Bröcker, Chefredakteur von Table.Media, übt Kritik in Sachen Rente
Michael Bröcker in der Münchner Runde
"Das ist diese schwarz-rote Ambitionslosigkeit, vor der ich als Bürger Angst habe", kritisiert Hauptstadtjournalist Michael Bröcker. Nichts, was die Regierung plane, sei eine strukturelle Reform: "Wenn die Lebenserwartung immer weiter steigt und der Rentenbezug immer weiter steigt, dann kann ich doch nicht über Jahrzehnte hinaus das gleiche Renteneintrittsalter haben."
Dass Handlungsbedarf bestehe, bekräftigte auch Ulrike Scharf. Zukunftsangst sei Nährboden für die Radikalen. "Diese Vertrauenskrise in den Sozialstaat darf nicht zu einer Demokratiekrise werden", warnt die CSU-Politikerin. "Wir brauchen diesen Mut zu Reformen." Industrievertreter Gößl, Gewerkschafter Stiedl und Journalist Bröcker aber vermissen genau jenen Mut.
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