"Wer weiß, was der Nikolaus morgen bringt?" Bundestagspräsidentin Julia Klöckner legt auch zu Beginn dieser Sitzung Wert darauf, gute Laune zu verbreiten. Aber die CDU-Politikerin macht auch klar, dass erstmal viel Arbeit auf die Abgeordneten wartet. Die Tagesordnung ist prall gefüllt, mehrere namentliche Abstimmungen stehen an. Deshalb werde das Präsidium "sehr stringent" durch den Tag führen. Das klingt mehr nach Rute als nach Geschenken.
Jetzt ist Disziplin gefragt. Nach Wochen der Vielstimmigkeit will die Koalition zeigen, dass sie handlungsfähig ist. Zumal in einer so zentralen Frage wie der Zukunft der Rente. Das Problem: Bis zuletzt können sich die Spitzen von Schwarz-Rot nicht sicher sein, dass das Regierungslager eine eigene Mehrheit zusammenbekommt.
Merz gibt Kanzlermehrheit als Ziel aus
Kurz vor der Abstimmung hat Friedrich Merz die Latte noch einmal höher gehängt. Eine Kanzlermehrheit müsse es sein, ließ er am Donnerstagabend wissen. Also die absolute Mehrheit aller Abgeordneten. Dabei würde eine Mehrheit der anwesenden Parlamentarier reichen, um das Rentenpaket durch den Bundestag zu bekommen.
Eine Ankündigung, die gut zum Selbstverständnis von Merz passt: ein Kanzler und CDU-Chef, der klare Ansagen macht. Tatsächlich erhöht er damit erneut den Druck auf die Skeptiker in den eigenen Reihen, die vor allem unter den jungen Abgeordneten von CDU und CSU zu finden sind.
Mehrheit für Wehrdienstgesetz als positives Signal für Koalition
Pünktlich um 11.20 Uhr geht es mit der Rentendebatte los, Klöckner hat ja eine straffe Sitzungsleitung angekündigt. Der neue Wehrdienst ist da schon beschlossene Sache. Ein erstes positives Signal aus Sicht der Koalition. Jetzt also rückt die entscheidende Abstimmung des Tages näher. Die Regierungsbank füllt sich nach und nach, aber einer fehlt: Der Stuhl vorne rechts bleibt zunächst leer – der mit der erhöhten Rückenlehne. Der Platz des Kanzlers.
Und so entgeht Merz, wie sich Carsten Linnemann müht, dem Rentenpaket auch aus Unionssicht etwas abzugewinnen. Der CDU-Generalsekretär nennt die "Aktivrente", mit der die Koalition Hinzuverdienstmöglichkeiten von Menschen im Ruhestand erleichtern will. Und er erneuert das Versprechen, das Rentensystem grundlegend zu reformieren: "Wir brauchen einen zweiten Schritt." In den Reihen der jungen Unionsabgeordneten sieht man ernste Gesichter, ihr Applaus für Linnemann fällt sparsam aus.
Rentendebatte: Kanzler verspätet sich
Als Merz schließlich im Plenarsaal auftaucht, läuft die Debatte schon fast eine Stunde. In Berlin wird geraunt, außenpolitische Verpflichtungen hätten ihn aufgehalten. Sollte der Kanzler angespannt sein, lässt er sich nichts anmerken. Er legt ein paar Unterlagen aufs Pult und setzt sich. Ein Bein übers andere geschlagen, der Blick konzentriert.
Dann hat jemand seinen Auftritt, der zuletzt oft im Scheinwerferlicht stand: Pascal Reddig, der Chef der jungen Gruppe in der Unionsfraktion. Er nimmt sich das Kernstück des Gesetzespakets vor: die Stabilisierung des Rentenniveaus bis 2031 – auch als Basis für weitere Berechnungen von Altersbezügen. "Wir beschließen erst verbindliche Kosten und verlassen uns dann auf unverbindliche Reformvorschläge", kritisiert Reddig. Und kündigt an, dem Paket nicht zuzustimmen.
Schwarz-Rot schafft Kanzlermehrheit
Dann um kurz vor halb zwei - der Moment der Wahrheit für die Koalition. Der Linken-Politiker Bodo Ramelow hat die Sitzungsleitung von Klöckner übernommen. Ihm fällt also die Aufgabe zu, das Ergebnis zu verkünden. 318 Abgeordnete stimmten mit Ja, 224 mit Nein und 53 enthielten sich. Auch in den Reihen der Union gibt es zwar mehrere Nein-Stimmen und Enthaltungen. Aber: Die Kanzlermehrheit ist erreicht. Merz hat hoch gepokert – und sich durchgesetzt.
Damit bleibt eine Regierungskrise aus, wie sie bei einem Scheitern des Rentenpakets befürchtet wurde. Und auch ein Mehrheitsbeschluss, der nur durch eine Enthaltung der Linken möglich gewesen wäre, bleibt Schwarz-Rot erspart. Insofern geht das Regierungsbündnis gestärkt aus dieser Abstimmung.
Und auch der Kanzler selbst kann sich bestätigt fühlen. Für ihn hat es sich ausgezahlt, zur Rute gegriffen zu haben. Die Heftigkeit der Diskussion aber lässt ahnen, was auf die Koalition noch zukommt. Spätestens dann, wenn sie im nächsten Jahr wie versprochen eine umfassende Rentenreform angehen sollte.
Zum Nachsehen: Rente & Wehrdienst beschlossen – "Kanzlermehrheit" steht
Friedrich Merz und Boris Pistorius
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