Rund um die türkische Stadt Ordu am Schwarzen Meer reihen sich satt grüne Haselnuss-Sträucher aneinander. Für die Region ist das Geschäft mit der Nuss essenziell. Die Türkei ist international der mit Abstand größte Haselnussproduzent (externer Link). Doch im April gab es Spätfrost. Die Sträucher litten, die Ernte fällt schlecht aus.
Sträucher teils dauerhaft geschädigt
"Dieser Nussstrauch hier müsste eigentlich voller Haselnüsse hängen", erzählt Haselnussbauer Zekayi Sağra. "Aber wie Sie sehen, ist das in diesem Jahr leider nicht so." Mehr als die Hälfte seiner Ernte sei kaputt. Bauern in höheren Lagen seien noch stärker betroffen. Dort habe der Frost die Pflanzen wohl dauerhaft geschädigt.
Ernterückgang bis zu 40 Prozent
Experten rechnen für dieses Jahr mit einem türkeiweiten Ernterückgang von bis zu 40 Prozent. Eine Folge des Klimawandels, so Klimaforscher Mehmet Levent Kurnaz von der Istanbuler Boğaziçi Universität. "Wir verzeichnen zunehmend starke Frostereignisse, die manchmal sogar bis in den Mai hinein reichen." Zudem blühten die Bäume durch weltweit steigende Temperaturen immer früher und seien so noch anfälliger für Frost.
Schädling frisst sich durch Plantagen
Außerdem frisst sich ein kleiner, schwarzer Käfer, der ursprünglich aus Südostasien stammt, durch die türkischen Haselnuss-Plantagen. Der Klimawandel begünstige die rasante Ausbreitung des Schädlings, sagen Experten. Immer mehr Nüsse seien angefressen oder sauer, erzählen die Bauern.
Klimawandel beeinflusst Lebensmittelpreise
Schlechte Ernten haben nicht nur Auswirkungen für die Bauern, Fahrer, Pflücker, Fabriken, Arbeiter und Verkäufer, sondern auch auf die Preise – sie werden in diesem Jahr um mindestens 30 Prozent steigen. Experten sprechen von "Climateflation", wenn der Klimawandel Lebensmittelpreise beeinflusst. Beliebte Haselnuss-Produkte, wie zum Beispiel Nuss-Nougat-Cremes, dürften also teurer werden. Denn viele Hersteller beziehen große Mengen aus der Türkei.
Lieferländer diversifizieren
Einer der größten Abnehmer ist der italienische Konzern Ferrero, der unter anderem Nutella produziert. Man wolle langfristig die Lieferländer diversifizieren, heißt es dort. Der deutsche Schokoladenhersteller Ritter Sport wird konkreter. "Die Häufung extremer Wetterereignisse, wie im Frühjahr in der Türkei, trifft uns als Schokoladenhersteller besonders", teilt das Unternehmen schriftlich mit. "Da wir überwiegend von Agrarrohstoffen abhängig sind."
Haselnussfarmen in Frankreich
Alternativquellen seien aber nicht einfach oder gar schnell zu erschließen. Man arbeite auch aufgrund der Klimaveränderungen an alternativen Bezugsquellen. Ein Beispiel sei der Aufbau einer eigenen Haselnussfarm in Frankreich, die sich aber noch in der Wachstumsphase befände.
Frostschutz immer wichtiger
Um die Folgen des Klimawandels aufzufangen, bräuchte es künftig mehr Vorkehrungen, sagt Klimaexperte Kurnaz. "Die Zeit im März und April zum Beispiel ist für den Frostschutz immer wichtiger. Wenn der Landwirt in dieser Zeit bestimmte Maßnahmen ergreift, kann man die Ernte retten." Möglichkeiten gibt es unter anderem durch Bewässerung oder Rauchentwicklung.
Bauern fordern mehr Unterstützung vom Staat
Die Landwirte an der türkischen Schwarzmeer-Küste fühlen sich alleingelassen. Wütend sind sie vor allem über den staatlich festgelegten Kilopreis für ihre Nüsse, der immer noch viel zu niedrig sei. Der Vorwurf vieler Bauern: Die Regierung halte den Preis künstlich niedrig – im Interesse von internationalen Großunternehmen. Am Ende bliebe für die Bauern nichts übrig, einige hätten schon aufgegeben.
Auch Zekayi Sagra fordert mehr Unterstützung vom Staat: "Es gibt in unserem Land Hunderte Landwirtschaftsfakultäten, das Problem muss durch die Politik auf dieser Ebene angepackt werden. Es kann nicht nur von uns Bauern gelöst werden." Sonst sehe er wenig Zukunft für die Haselnuss vom Schwarzen Meer.
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