Der 18. Geburtstag ist ein magischer Meilenstein. Endlich ist man volljährig, endlich erwachsen. Entsprechend groß wird so ein Ereignis gefeiert. Und bei den Geschenken machen sich die Freunde extra viele Gedanken. Auf die Frage, was Katinka dem Geburtstagskind schenken werde, antwortet die junge Landwirtin: Eine gescheite Schaufel für den Wald. Die habe sie sich gewünscht – und sowas könne man immer brauchen.
Realistisches Coming-of-Age vom Land
"Milch ins Feuer", das bereits mehrfach preisgekrönte Spielfilmdebüt von Justine Bauer, ist ein Coming-of-Age-Film der wirklich besonderen Art. Gezeigt wird das von Pragmatismus bestimmte Leben junger Landwirtinnen. Gedreht wurde auf Höfen im Landkreis Schwäbisch Hall in Baden-Württemberg. Und gesprochen wird der örtliche Dialekt: Hohenlohisch und ein wenig Alemannisch.
Vor der Kamera stehen fast ausschließlich Laien aus der Region, größtenteils Frauen. Und die sind, wie der Film selbst, eine stille Wucht. Takt und Tempo von "Milch ins Feuer" gleichen jener rhythmisch quietschenden Fluss-Schaukel, auf der Hauptfigur Katinka in der meditativen Eingangssequenz steht. Gefilmt wurde sie mit regungsloser Kamera von oben. Zu sehen ist nur ihr Hinterkopf, ihr Rücken, das grüne Bikini-Oberteil. Unter ihr fließt beinahe schwarz schimmerndes Wasser, gesprenkelt mit weißen Blüten.
Eins ist mit der Natur
Minutenlang schaukelt sie entspannt ins Bild hinein und wieder hinaus: Das Leben als meditativer Strom, einladend und dunkel zugleich. Aber hier ist man eins mit der Natur. Denn das Land, die Tiere, der von früh bis spät zu bewirtschaftende Hof – sie sind weit wichtiger als enthemmte Geburtstagsfeiern an heißen Sommertagen. Deren alkoholgeschwängerter Spaßfaktor ohnehin mit Vorsicht zu genießen ist. Passt man nicht auf, ist die Zukunft verbaut.
Menschliches Gespür - auch ohne Sprache
Die Probleme, mit denen Katinka und ihre Freundinnen zu kämpfen haben, haben zwar oft lebensbestimmende Dimensionen, werden aber nie zum Bad im Selbstmitleid hergenommen. Hier werden Probleme nicht breitgetreten, sondern gelöst. Entsprechend sind Dialoge in Justine Bauers Generationenporträt eher zweitrangig.
Ob Geschwister, Freundinnen oder Oma, Mutter und Tochter: Vor allem die Frauen verstehen sich blind. Eine Milchbäuerin erkennt eben mit einem Blick, wenn eine Kuh trächtig ist. Bei Menschen ist das nicht anders. Und wie bei Nutztieren, die gedeckt werden, ist der Erzeuger nach dem Akt erstmal fein raus. Kinderkriegen ist Frauensache. Auch wenn die Frau – wie die Ich-Erzählerin – fast selbst noch ein Kind ist und beim Beobachten der Ballenpresse recht eigenwillige Gedanken hat: Eine gut geplante quadratische Geburt nach der anderen sieht sie, wenn die riesige Maschine die Heuballen rauspresst und auf den Acker plumpsen lässt. Kann ja nur schmerzhaft sein, so eine Geburt.
Patriarchale Strukturen sind überall
Der Humor in "Milch ins Feuer" ist so handfest wie lakonisch. Regisseurin und Drehbuchautorin Justine Bauer weiß ganz genau, wovon sie schreibt. Aufgewachsen auf einer Straußenfarm in einem 27-Seelen-Dorf, kennt die 1990 geborene Hohenloherin die patriarchalen Strukturen auf dem Land. Es geht um ungewollte Schwangerschaft, um männliche Erbfolge, um den Zwang, Heimat und Freunde hinter sich zu lassen, wenn man heiratet und auf den Hof des Mannes zieht.
Auch deswegen sei es ihr so wichtig gewesen, dass in ihrem Film unterschiedliche Dialekte gesprochen werden, erklärt die Regisseurin: "Weil's auch darum geht, dass die Frauen wegziehen müssen, und dass die Muttersprache in dem Film eigentlich ist, dass Mutter und Tochter nicht die gleiche Sprache haben."
Lebensrealitäten, abseits der Großstadt
Auch wenn die Themen ernst sind, es obendrein ums Höfesterben und die hohe Selbstmordrate unter Landwirten geht: Mit ihrer poetischen Bildsprache und ihrem perfekt besetzten Ensemble schafft Justine Bauer einen modernen Heimatfilm, der das Leben auf dem Land so authentisch, liebevoll und beeindruckend porträtiert wie schon lange nicht mehr.
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