Ausgezeichnet mit dem Geschwister-Scholl-Preis 2025: Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey
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Ausgezeichnet mit dem Geschwister-Scholl-Preis 2025: Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey
Bildrechte: Bild Amlinger: picture alliance/ SZ Photo/ Anna Weise | Bild Nachtwey: picture alliance/ dpa/ dpa-Zentralbild/ Britta Pedersen
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Ausgezeichnet mit dem Geschwister-Scholl-Preis 2025: Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey

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Geschwister-Scholl-Preis für Soziologen Amlinger und Nachtwey

Geschwister-Scholl-Preis für Soziologen Amlinger und Nachtwey

Der Geschwister-Scholl-Preis 2025 geht an die Literaturwissenschaftlerin Carolin Amlinger und den Soziologen Oliver Nachtwey. In ihrem Buch "Zerstörungslust" erklären sie, warum Demokratien zunehmend von innen zerstört werden.

Über dieses Thema berichtet: Bayern 2 Kulturleben am .

Warum wählten so viele US-Bürger Donald Trump, warum folgen hierzulande so viele Menschen der AfD – obwohl diese keinen Hehl daraus machen, die liberale Demokratie mit all ihren zum Teil hart erkämpften Errungenschaften zerstören zu wollen? So lautet die Leitfrage, die Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey in ihrem Buch "Zerstörungslust. Elemente des demokratischen Faschismus" versuchen zu beantworten. Dafür wurden sie jetzt mit dem Geschwister-Scholl-Preis ausgezeichnet.

Zerstörung der Demokratie von innen

"Mit 'Zerstörungslust.' legen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey ein Werk vor, das die politische Gegenwart ein­dringlich und zugleich mit großer Sensibilität ausleuchtet", heißt es in der Begründung der Jury. Im Mittelpunkt stehe die Erfahrung vieler Menschen, dass die Versprechen liberaler Demokratien – Freiheit, Teilhabe, soziale Sicherheit – zunehmend als unerfüllt wahrgenommen werden. Aus dieser Enttäuschung erwachse eine eigentümliche Lust an der Zerstörung. Der von dem Autorenteam entwickelte Begriff des "demokratischen Faschismus" beschreibe eine Haltung, die mitten in der Demokratie entstehe: eine Mischung aus Ressentiment, regressiver Rebellion und faschistischen Fantasien, die Institu­tionen nutze, um sie zugleich auszuhöhlen.

"Amlinger und Nachtwey vermeiden einfache Schuldzuweisungen", so die Jury. "Sie legen frei, welche Strukturen den Boden für destruktive Energien bereiten: wachsende Ungleichheit, der Verlust von Status und Zugehörigkeit, die Erosion gemeinsamer Verbindlichkeiten." Das Buch zeige damit unübersehbar, "dass die Gefährdung der Demokratie nicht nur von außen kommt, sondern aus uns selbst erwächst."

Thesen auf Grundlage zahlreicher Interviews

Oliver Nachtwey, Jahrgang 1975, Professor für Sozialstrukturanalyse am Fachbereich Soziologie der Universität Basel und die 1984 geborene Carolin Amlinger, Literatursoziologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Departement Sprach- und Literaturwissenschaft der Universität Basel, haben dafür umfangreiche empirische Forschungen betrieben, darunter einer Vielzahl ausführlicher Interviews mit AfD-Anhängern und Mitgliedern libertärer Vereinigungen.

Auf Grundlage dieser Daten entwickeln sie die These, dass sich die Revolte der Trump-Anhänger und AfD-Wähler gegen die Blockade liberaler Gesellschaften wendet, die ihre Versprechen auf Aufstieg und Emanzipation nicht mehr einlösen. In diesem Sinne geht es Trump, Musk, Weidel und ihren Anhängern um die Zerstörung der Welt - als letzten, verzweifelten Versuch, sich davor zu retten, von ihr zermalmt zu werden.

Der neue Faschismus vor allem ein Gefühl

Im Gespräch mit dem BR erklärten beide ihre Thesen, etwa den Begriff "demokratischer Faschismus", zu dem Carolin Amlinger sagt, er erscheine "tatsächlich auf den ersten Blick widersprüchlich, da der historische Faschismus die Demokratie offen bekämpfte und eine diktatorische Form der Gewaltherrschaft war." Heute entstehe der Faschismus aber eben aus einer etablierten Demokratie und zerstöre dessen Institutionen.

Oliver Nachtwey räumt gegenüber dem BR mit einem verbreiteten Irrglauben auf: "Man unterschätzt den Faschismus, wenn man glaubt, dass man ihn über sozialpolitische Realpolitik bekämpfen könne." Denn die Menschen hätten das Vertrauen in die Zukunft verloren, und deshalb sei Faschismus vor allen Dingen ein Gefühl. "Eine dunkle Emotion von Obdachlosigkeit, die Größe wiederherstellen will."

Überreicht bekommen beide den Preis bei der Verleihung am 25. November 2025.

Preis im Sinne der bürgerlichen Freiheit

Der mit 10.000 Euro dotierte Geschwister-Scholl-Preis wird seit 1980 vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels – Landesverband Bayern e.V. gemeinsam mit der Landeshauptstadt München vergeben. Der Preis würdigt Bücher, die von geistiger Unabhängigkeit zeugen und geeignet sind, bürgerliche Freiheit sowie moralischen, intellektuellen und ästhetischen Mut zu fördern.

Im letzten Jahr wurde die russische Journalistin Katerina Gordeeva für ihr Buch "Nimm meinen Schmerz. Geschichten aus dem Krieg" ausgezeichnet, in dem sie in 24 Porträts von der brutalen Realität des Krieges in der Ukraine berichtet.

Bildrechte: Suhrkamp Insel
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Buchcover: Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey: "Zerstörungslust"

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