Rund 100 Männer in grau-blauer Häftlingskleidung haben sich im Speisesaal der Justizvollzugsanstalt Landsberg versammelt. Dort geben die vier Musiker der Landsberger Band Take4friends ein ganz besonderes Konzert zu Ehren eines weltberühmten ehemaligen "Landsbergers": Johnny Cash. Unter dem frenetischen Jubel des Publikums stimmen Take4friends als Erstes einen der größten Hits des 2003 verstorbenen Country-Stars an, ein Lied über einen Häftling in einem der berüchtigtsten US-Gefängnisse – dem Folsom Prison, im US-Bundesstaat Kalifornien.
Abhörspezialist dank gutem Gehör
Cash schrieb den "Folsom Prison Blues" nur ein paar Kilometer Luftlinie entfernt vom Landsberger Gefängnis: Auf dem Fliegerhorst Penzing, wo er Anfang der 1950 Jahre als US-Soldat stationiert war. Weil der damals 19-jährige Farmersohn aus Arkansas ein außergewöhnliches Gehör hatte, wurde er zum Funker und Abhörspezialisten ausgebildet. Fast vier Jahre verbrachte er auf dem Fliegerhorst, Heimaturlaube gab es nicht, nur einmal im Jahr durften die US-Soldaten nach Hause telefonieren. Johnny Cash hatte also viel Zeit, zum Beispiel um Musik zu machen.
Cashs erste Band: Die "Landsberg Barbarians"
Bei einem Landsberger Musikhändler kaufte er dann auch seine erste Gitarre. Kurz darauf gründete er im Fliegerhorst seine erste Band: die "Landsberg Barbarians". Zum Freizeitprogramm der US-Army gehörten auch regelmäßige Filmabende, und 1951 sah der junge Cash im Kinosaal des Penzinger Fliegerhorsts, der übrigens noch heute existiert, "Inside the Walls of Folsom Prison". Der Spielfilm inspirierte ihn zum "Folsom Prison Blues".
Johnny Cash in Landsberg am Lech
Schnappschüsse vom Schwarzfischen an einem Landsberger Bach
Erst vor Kurzem sind bislang unbekannte Fotos von Cash aus dieser Zeit aufgetaucht. Darunter Schnappschüsse, die den späteren Country-Sänger mit seiner ersten Gitarre zeigen, aber auch beim Segeln auf dem Ammersee, beim Schwarzfischen an einem Landsberger Bach oder bei der Bescherung unter einem deutschen Weihnachtsbaum.
Unter dem Titel "Cash in Barbaria" wurden die Fotos im vergangenen November als Bildband veröffentlicht. Bei der Buchpräsentation im Landsberger Plattenladen "Discy" spielte die Band Take4friends ein paar Cash-Songs. Damals entstand die Idee für einen Cash-Tribute-Abend im Gefängnis.
Auch die Gefangenenband spielt Cash-Songs
Bassist Joshi Treude von Take4friends rief einfach in der JVA an und fragte nach – und dort war man von der Konzertidee sofort angetan. Denn Anstaltslehrer Mario Lattermann-Mailänder, der für das Kulturprogramm in der JVA zuständig ist, ist selbst Cash-Fan: "Wir sind gerade dabei, eine kleine Gefangenenband aufzubauen, und da spielen wir auch einige Lieder von Johnny Cash nach."
Etwa drei bis vier Mal im Jahr gibt es Konzerte im Landsberger Gefängnis, meistens Rockbands, aber auch mal ein Gospelkonzert in der Kapelle der JVA. Für Anstaltsleiterin Monika Groß gehört das durchaus auch zur Resozialisierung: "Damit sie sehen, dass man abends auch was anderes machen kann als nur in der Kneipe hocken."
Die Landsberger Band "Take4friends" vor dem Auftritt im Landsberger Gefängnis
Ein bisschen gute Laune für die Inhaftierten
Aktuell sind in Landsberg knapp 400 Gefangene zwischen 18 und 80 Jahren inhaftiert. Rund 100 von ihnen nutzten die Gelegenheit, zum Johnny-Cash-Tribute-Abend zu kommen. Für die Häftlinge eine willkommene Ablenkung vom Gefängnisalltag, für die Musiker ein außergewöhnliches Erlebnis, wie Bassist Treude betont: "Weil man weiß, die sind nicht freiwillig hier in der JVA. Sicherlich hat jeder von ihnen sein Päckchen zu tragen – und wir sind froh, dass wir da ein bisschen gute Laune bringen können."
Ein Gefängnis mit Geschichte
Das ist den vier Musikern von Take4Friends in jedem Fall gelungen – auch dank Sänger Thommy Tauscher, dessen Stimme der von Johnny Cash verblüffend ähnelt: "Für mich als gebürtigen Landsberger ist es eigentlich ein Frevel, dass ich noch nie in der JVA gespielt habe. Gerade, wenn man um die Geschichte dieser Gemäuer weiß."
Anfang der 1950er-Jahre saßen im Knast Landberg Nazi-Kriegsverbrecher ein. Wenig verwunderlich also, dass Johnny Cash damals dort nicht aufgetreten ist – auch wenn er später mit legendären Konzerten in US-Gefängnissen wie dem Folsom Prison oder dem San Quentin State Prison für Furore sorgte. Aber dass seine Lieder fast 75 Jahre später durch den Speisesaal der JVA Landsberg hallen, hätte ihm sicher gefallen.
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