Der russische Präsident spricht zum Publikum per Schaltung.
Der russische Präsident spricht zum Publikum per Schaltung.
Bild
Glamouröser Videoauftritt: Putin beim "Intervision"-Wettbewerb.
Bildrechte: Sergei Fadeichev/Picture Alliance
Schlagwörter
Bildrechte: Sergei Fadeichev/Picture Alliance
Audiobeitrag

Glamouröser Videoauftritt: Putin beim "Intervision"-Wettbewerb.

Audiobeitrag
> Kultur >

"Versagen des Systems": So blamierte sich Putin mit Song Contest

"Versagen des Systems": So blamierte sich Putin mit Song Contest

Nach Putins TV-Show "Intervision", die als Gegenstück zum Eurovision Song Contest gedacht war, sorgt der Sieg des vietnamesischen Teilnehmers für erhebliche Irritation und Spott. Sein Song sei "antichinesisch", sein Lebenswandel "nicht-traditionell".

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

"Ich sehe mir den Gewinner des Intervision Song Contest an, der angeblich ins Leben gerufen wurde, um 'nicht-traditionellen Werten' und der 'LGBT-Propaganda' ein Ende zu setzen, und denke mir: Wohin wollt ihr, ihr alten Narren?", höhnt der russische Polit-Blogger Igor Dimitriew [externer Link] über den Fernsehwettbewerb, den der Kreml als propagandistisches Gegenstück zum Eurovision Song Contest erfand.

Sieger wurde dort am Samstagabend der vietnamesische Sänger Duc Phuc, der russischen Ultranationalisten zu "androgyn" ist und dem offen gelebte Homosexualität unterstellt wird. In Asien könne man Jungen und Mädchen sowieso nicht immer voneinander unterscheiden, schimpfte Dimitriew, weil sie sich "kostümierten".

"Und das alles auf öffentliche Kosten"

Politologe Alexander Saygin schrieb [externer Link]: "Duc Phucs Sieg wirkt wie ein totales Versagen des Systems, das die Dinge aufgrund schlichter Unkenntnis der Sprache und der kulturellen Feinheiten Vietnams nicht richtig geregelt hat."

Einer der anonymen russischen Polit-Blogs (140.000 Fans) wetterte [externer Link], der Wettbewerb sei eine "Schande" und grenze an "Sabotage": "Ideologisch ist diese Geschichte sogar noch schädlicher als die Sprengung der Nord Stream-Pipeline. Der vietnamesisch-amerikanische Saboteur [Duc Phuc] versetzte Russland einen doppelten Schlag – er förderte LGBT auf feindlichem Gebiet, stellte die staatliche Politik der Förderung traditioneller Werte und Russlands internationales Image als Anführer der konservativen Welt in Frage und untergrub die strategischen Beziehungen zu China. Und das alles geschah auf öffentliche Kosten."

"Tolle Arbeit, Mann"

Wirtschaftskolumnist Dmitri Drise spottete [externer Link], jetzt wüssten die Russen wenigstens, welche Popmusik ihnen der Kreml ans Herz lege: "So sieht also die Alternative zum dekadenten Westen aus." Duc Phuc habe ein äußerst erfolgreiches Musikvideo über zwei ineinander verliebte Männer produziert und sich damit als "wenig aufrichtig" erwiesen, zumal sein Sieger-Song auch noch antichinesische Untertöne gehabt habe, was allerdings nur ausgewiesenen Kennern der vietnamesischen Mythologie und Sprache aufgefallen sein dürfte.

Gleichwohl fällt auf, wie sehr Putin der Song-Wettbewerb auf die Füße fällt, weil russische Beobachter jedes vermeintlich "unpolitische" Detail, auch die Platzierung der Teilnehmer, als vom Kreml gesteuert wahrnehmen und daraus ihre Schlüsse ziehen.

"Sie wollten also unbedingt ein Gegengewicht zum dämonischen, sodomitischen Eurovision Song Contest schaffen, indem sie ihren eigenen, richtigen und ordentlichen Wettbewerb veranstalteten und zeichneten einen offen schwulen Mann aus Vietnam mit einem Lied über den Kampf gegen die chinesischen Invasoren aus. Tolle Arbeit, Mann", hieß es dazu auf einem weiteren russischen Polit-Blog [externer Link].

"Signal Moskaus an Peking"

Dass die musikalische Qualität bei Putins "Intervision" völlig unerheblich war, glaubt auch Polit-Blogger Dmitri Sewrjukow [externer Link]: "Die Wahl eines vietnamesischen Gewinners war durchaus angemessen, da sie die geopolitische Lage am besten widerspiegelt und mit der multipolaren Architektur vereinbar ist. Vietnam und Russland haben im vergangenen Jahr ein strategisches Partnerschaftsabkommen unterzeichnet, Vietnam versteht sich aber auch gut mit den USA. Daher ist ein vietnamesischer Künstler ein viel geeigneterer Kandidat für den Sieg im russischen Intervision Song Contest als beispielsweise ein chinesischer oder indischer Kandidat, ganz zu schweigen von einem Kubaner."

Bildrechte: BR24
Bildbeitrag

Peter Jungblut

Dazu ergänzte ein tonangebender anonymer russischer Polit-Kommentator [externer Link]: "Wäre der Gewinner des Intervision Song Contest, der vietnamesische Sänger Duc Phuc, der beim Wettbewerb ein offen antichinesisches Lied sang und zudem offen schwul war, nicht ausgewählt worden, hätte man ihn erfinden müssen."

Offenbar habe Putin damit seine "Autonomie" gegenüber China betonen wollen, so die wohl ironisch gemeinte Spekulation: "All das bedeutet, dass Moskau Trump ein Signal sendet, dass es bereit ist, die Priorität der 'Wendung nach Osten' aufzugeben, wenn Washington bereit ist, die Beziehungen zu den Bedingungen des Kremls zu normalisieren und zu seiner traditionellen, deutlich neutraleren Politik zurückzukehren."

"Mit dem Westen war es einfacher"

Immerhin wagte eine der auflagenstärksten russischen Zeitungen, "Moskowski Komsomolez", sanfte Kritik an China: "Der chinesische Teilnehmer Wang Xi erwies sich regelrecht als Elvis des Ostens, enttäuschte jedoch womöglich durch den Minimalismus seiner Darbietung."

Umstritten war die Entscheidung der Organisatoren, den russischen Teilnehmer und Propagandisten "Shaman" (eigentlich Jaroslaw Dronow) außerhalb der Wertung antreten zu lassen, weil Russland schon durch die Austragung des Wettbewerbs "gewonnen" habe. Die einen bezeichneten das als anmaßend und gönnerhaft, andere vermuteten, dass ein schlechtes Abschneiden verhindert werden sollte.

Fazit des St. Petersburger Politologen Michail Winogradow [externer Link]: "Es ist echt nervig mit diesem globalen Süden. Sobald man einem den Sieg zuspricht, reagieren die anderen verärgert und beleidigt. Selbst mit dem benachbarten Westen war es irgendwie einfacher."

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!