Am 16. November verwandelt sich Lucy. Aufwendig ist das nicht: nur ein paar wenige Klicks, und schon wird aus der Frau mit den mittellangen blonden Haaren ein Mann. Luke. Ein Experiment mit Folgen. Denn was dann passiert, wühlt das Internet seitdem auf.
Gender-Experiment bei LinkedIn: Ein Klick mit Folgen
Lukes Reichweite geht plötzlich durch die Decke. Um über 800 Prozent steigt die Reichweite seiner Beiträge. Ein von Luke neu veröffentlichter Post erreicht in nur 24 Stunden so viele Menschen wie ein vergleichbarer Post von Lucy zuvor in einem ganzen Monat. Das schreibt Lucy, als sie das Experiment kurze Zeit später aufdeckt [externer Link].
Immer mehr Menschen tun es Lucy, beziehungsweise Luke, gleich. Vor allem in den USA, aber auch in Deutschland. Sie teilen ihre Erfahrungen auf der Jobplattform unter dem Hashtag #wearthepants – zieht die Hosen an. Mit ähnlichen Ergebnissen. Woher kommt das, dass Plattformen wie LinkedIn immer wieder mit Diskriminierung in Verbindung gebracht werden? Und was bedeutet das für uns, wenn Algorithmen zunehmenden Einfluss auf unsere Jobchancen bekommen?
LinkedIn: Algorithmus ohne Daten über Gender oder Hautfarbe
Die US-amerikanische Plattform LinkedIn gehört zu den größten Karriere- und Jobportalen überhaupt. Allein in Deutschland hat die Plattform, die zu Microsoft gehört, laut aktuellen Zahlen inzwischen über sieben Millionen monatlich aktive Nutzer – und damit einen erheblichen Einfluss auf deren Karrierechancen. Viele Userinnen kritisieren LinkedIn nun online und werfen der Plattform Diskriminierung vor. Werden Frauen auf der Plattform also tatsächlich systematisch benachteiligt?
LinkedIn widerspricht. Bereits Mitte August [externer Link], also lange vor dem virtuellen Gender-Experiment von Luke beziehungsweise Lucy Ferguson, schreibt Tim Jurka, einer der Entwickler des Algorithmus von LinkedIn, die Gestaltung des Feeds basiere auf Large Language Models (LLM), also KI. Diese arbeite rein inhaltlich und berücksichtige laut Jurka keine demografischen Daten wie Alter, Hautfarbe oder Geschlecht.
Stattdessen reagiere das System auf hunderte anderer "Signale", auch aus der Interaktion mit Userinnen und Usern, mit denen die Reichweite eines Posts gesteuert wird, ergänzt zudem Sakshi Jain, die Leiterin der Responsible-AI-Abteilung von LinkedIn, in einem kürzlich erschienen Artikel [externer Link]. Die Algorithmen würden regelmäßig auf ihre Neutralität hin getestet, betont die Entwicklerin.
Wie kommen die Ergebnisse dann zustande?
Das Statement von LinkedIn liest sich wie ein Versuch, ein wenig Ruhe und Klarheit in die aufschäumende Diskussion zu bringen – eine wirkliche Erklärung für die belegte Reichweiten-Explosion mancher Accounts können sie allerdings nicht liefern. Also suchen die Userinnen selbst nach Antworten.
Algorithmen bräuchten keine demografischen Daten, um einen Bias herzustellen. Sie bräuchten nur von menschlichen Verhaltensmustern zu lernen, wenn es etwa um die Wahrnehmung von Gender geht, schreibt die Unternehmensberaterin Geri Stengel auf der Plattform [externer Link]. Vielleicht sind es also doch wir Menschen, die mit unseren (unterbewussten) Vorurteilen Männern mehr Aufmerksamkeit schenken als Frauen – was die stark gestiegene Reichweite von Luke im LinkedIn-Feed ebenfalls erklären könnte.
"Spannender als die Frage 'Ist LinkedIn sexist?' ist für mich daher: Welche Verhaltens‑ und Sprachmuster belohnt der Feed eigentlich", schreibt etwa die Nutzerin Sabrina Walter-Ewert [externer Link] – "und welche Gruppen werden dadurch strukturell benachteiligt, obwohl sie inhaltlich genauso stark sind?" Das Gender-Switch-Experiment möchte die Hamburger Marketing-Trainerin nach eigenen Angaben nun auch selbst ausprobieren.
Welche Konsequenzen der Fall für LinkedIn haben könnte
Für LinkedIn kommt die Debatte zur Unzeit. Nachdem in den vergangenen Jahren immer wieder Vorwürfe gegen das Portal laut wurden, Hatespeech und Belästigung nicht entschieden genug zu moderieren, ist es zuletzt wieder ruhig geworden um die amerikanische Business-Plattform. Jetzt also der Wirbel um die Reichweiten im Feed.
LinkedIn-Entwicklerin Jain versucht derweil, der Debatte etwas Positives abzugewinnen: der Algorithmus sei ein laufendes Projekt, das auch mit dem Input der User stets optimiert werde. Man wolle allen Nutzern wirtschaftliche Chancen ermöglichen. Es bleibt also abzuwarten, wie LinkedIn auf die Gender-Experimente reagieren wird – und wie sich das auf die Jobchancen der Nutzer, und die der Nutzerinnen, auswirken wird.
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