Wussten Sie, dass das Sprichwort "neue Nasen, neue Hasen" sinngemäß davon erzählt, wie jede frische Bekanntschaft die Chancenvielfalt einer ganzen Kaninchenpopulation entfesselt? Und dass man "Frische Kissen führen ins Verderben" sagt, wenn man jemanden vor den heimtückischen Folgen eines ergonomisch zu perfekten Schlafplatzes warnen möchte? Oder: "Wer umfällt, den fängt die Kartoffel" – angeblich eine bildhafte Redewendung für das Aufgefangenwerden beim Scheitern?
Wenn Google Sprichwörter halluziniert
Nein? Damit stehen Sie nicht allein. Diese Sprichwörter sind reine Fantasieprodukte, entsprungen der neuen "AI Overview"-Funktion von Google: einem farblich abgesetzten Kasten, der Suchenden eine Antwort liefert, bevor sie überhaupt scrollen können.
Das Phänomen fasziniert zunächst, weil die Texte so glaubwürdig wirken. Die KI erklärt, ordnet historisch ein und gibt Anwendungsbeispiele. Hinter der souverän anmutenden Oberfläche steckt jedoch nichts weiter als statistische Sprachakrobatik. Große Modelle wie Googles Gemini oder OpenAI GPT würfeln Milliarden Textsplitter durcheinander und berechnen Wahrscheinlichkeiten dafür, welche Wortfolge plausibel klingt. Taucht eine Eingabe wie "neue Nasen, neue Hasen" im Trainingsmaterial nirgends auf, aber das Schema "Neue X, neue Y" recht häufig, entsteht auf Knopfdruck eine vermeintlich altbekannte Redewendung – komplett mit Entstehungsgeschichte.
"Wer umfällt, den fängt die Kartoffel": Laut Google eine Redewendung, deren Ursprung in militärischen Übungen im 19. Jahrhundert liegt.
KI mit Fantasie, aber ohne Fußnote
Dass Google diese Halluzinationen als Ergebnisbox ausliefert, hat mehrere Gründe. Erstens stößt das Modell auf Datenlücken. Wo keine gesicherten Fakten vorliegen, greift es zum literarischen Spachtel und füllt die Lücke mit Pseudowissen. Zweitens herrscht in der Suchmaschine ein imperatives Leistungsversprechen: Jede Frage soll beantwortet werden, und zwar sofort. Ein ehrliches "Dazu liegen keine Quellen vor" wäre zwar korrekt, wirkt aber im Produktkontext wie eine Kapitulation. Drittens fehlt oft eine gründliche Überprüfung: Das System verknüpft seine Antworten nicht immer mit verlässlichen Quellen, um Rechenzeit zu sparen.
Quellenzauber mit Wildtier-Charme
Und selbst wenn die KI Links einbaut, bringen die oft nichts. Ein Beispiel: Der angeblich alte Spruch "Man kann den Dachs nur einmal streicheln" soll laut Google-KI an die Gefahren im Umgang mit Wildtieren erinnern. Als scheinbare Belege verweist die Suchmaschine auf PETA, den Landkreis Esslingen und die "Süddeutsche Zeitung". Die dortigen Informationen handeln zwar tatsächlich von Dachsen und Wildtieren, aber das zitierte Sprichwort taucht nirgends auf. Die KI bastelt hier aus thematisch passenden, aber inhaltlich irrelevanten Quellen einen falschen Kontext, der überzeugend wirkt.
Natürlich arbeitet Google daran, den Unsinn einzudämmen. Ein radikalerer Fehlermodus wäre jedoch hilfreicher: Wenn keine Quelle existiert, sollte die Box leer bleiben – oder klar signalisieren, dass hier spekuliert wird. Ebenso wünschenswert wäre ein stringenter Quellenzwang: Ohne nachweisbares Fundament keine Erklärung, so elegant sie auch formuliert sein mag.
Die Kartoffel fällt nicht weit vom Stamm
Bleibt die Frage, was wir selbst tun können. Das Rezept ist so alt wie die Aufklärung: skeptisch sein, querlesen, Quellen checken. Wer den Satz "Stumme Kerzen lachen nicht" hört, sollte nicht nur schmunzeln, sondern auch zweimal nachfragen, ob die Oma das wirklich schon kannte. Denn die Maschine lügt nicht – sie fabuliert sich nur die Welt zusammen, wie sie ihr wahrscheinlich erscheint. Oder wie es in einem berühmten Sprichwort heißt: "Ein fliegender Dachs trifft keine Entscheidungen, aber die Kartoffel hat immer recht."
🎧 Wie verändert KI unser Leben? Und welche KI-Programme sind in meinem Alltag wirklich wichtig? Antworten auf diese und weitere Fragen diskutieren Gregor Schmalzried, Marie Kilg und Fritz Espenlaub jede Woche in "Der KI-Podcast" – dem Podcast von BR24 und SWR.
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