Seit acht Jahren ist medizinisches Cannabis in Deutschland erlaubt - mit dem Ziel, zum Beispiel schwer erkrankten Krebspatienten zu helfen, für die es keine weiteren Therapieoptionen mehr gibt. Seit dem 1. April 2024 fällt medizinisches Cannabis zudem nicht mehr unter das Betäubungsmittelgesetz.
Doch Eigenanbau und Cannabisclubs können die Nachfrage von Privat-Konsumenten offenbar nicht decken - viele sind deshalb auf Medizin-Blüten umgestiegen, die sie meist per Privatrezept bekommen. Ein Indiz dafür: Der Import von Medizinal-Cannabis aus dem Ausland ist seit der Legalisierung von privatem und öffentlichen Konsum enorm gestiegen. Von acht Tonnen im ersten Quartal 2024 auf 43 Tonnen im zweiten Quartal 2025. Ein Anstieg um 430 Prozent.
Große Mengen auf Privatrezept
Offiziell gibt es Medizinal-Cannabis nur auf Rezept - ein Arzt sollte vorher eine entsprechende Diagnose stellen. Doch nach Recherchen von Kontrovers - Die Story kann man sich auf Telemedizin-Plattformen ohne Arztkontakt die Diagnose selbst aussuchen.
Attila Idil ist Influencer, schwört selbst auf Cannabis und vergleicht verschiedene Telemedizin-Anbieter: "Mittlerweile ist es möglich, sich Cannabis auf Rezept online zu buchen und sogar relativ zügig zu bekommen", erklärt er auf seinem YouTube-Kanal. Die Ware wird später mit dem Privatrezept verschickt. Viele Kunden verzichten gerne auf ein Arztgespräch, denn das kostet extra.
Zudem können Cannabis-Konsumenten problemlos große Mengen bei Telemedizin-Plattformen bestellen: Weil für den Besitz von Medizinal-Cannabis keine Höchstmengen gelten, kann man auch 100 Gramm auf einmal bestellen. Je mehr gekauft wird, desto billiger wird es. Medizinal-Cannabis ist zum Milliardengeschäft geworden, zur Alternative für Aspirin und Baldrian oder es wird einfach als Genussmittel verwendet.
Bundesgesundheitsministerin sieht Handlungsbedarf
Doch seit kurzem ist das lukrative Modell in den Fokus der Politik geraten. Man vermutet enormen Missbrauch, denn im Gegensatz zu Privatrezepten sei die Zahl der Kassenrezepte für wirklich Kranke kaum gestiegen. Gesundheitsministerin Nina Warken erklärt in einem Video in Social Media: "Viel zu oft ist Cannabis auf Rezept für den Privatgebrauch verschrieben worden über Online-Plattformen. Das geht so nicht. Medizinal-Cannabis soll nur es nur geben, wenn es einen medizinischen Bedarf gibt."
Das Münchner Institut für Therapieforschung untersucht seit Jahren die Risiken und Nebenwirkungen des Cannabis-Konsums. Über 2.000 Studien hat das Institut ausgewertet. Prof. Eva Hoch widerlegt das Bild von der sanften Droge ohne Suchtpotential: "Es gibt eine große Metastudie, die belegt, dass zwei von zehn Menschen, die jemals Cannabis genutzt haben, eine Cannabiskonsumstörung entwickeln. Und wenn Menschen Cannabis täglich konsumieren, dann werden drei von zehn abhängig."
Jüngste Zahlen der Krankenkasse kkv zeigen die Folgen. Schwere Störungen wie etwa Psychosen wegen Cannabis sind innerhalb von zehn Jahren um 180 Prozent angestiegen. Seit der Legalisierung gab es noch mehr medizinische Behandlungen - 2024 waren es hochgerechnet rund 250.000 Fälle in Deutschland.
Streeck: "Keine Dealer in weißem Kittel"
Prof. Hendrik Streeck ist der neue Drogenbeauftragte der Bundesregierung. Kontrovers - Die Story zeigt ihm am Rande des Deutschen Suchtkongresses die Recherche-Ergebnisse. Für ihn sind die Zustände alarmierend: "Gerade für das junge Gehirn ist der Konsum von Cannabis wirklich gefährlich." Doch immer mehr greifen zu medizinischem Cannabis. Der Markt scheint außer Kontrolle. In Zukunft müsse wieder strikter reglementiert werden, fordert der Drogenbeauftragte. "Wir wollen am Ende nicht Dealer in weißem Kittel haben", erklärt Streeck in Kontrovers - Die Story.
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