Direkte Demokratie findet in Deutschland meist lokal statt – zum Beispiel durch Bürgerbegehren und Bürgerentscheide. Aber sind diese immer förderlich für Entwicklungen vor Ort? Kontrovers – Die Story hat Befürworter und Gegner in mehreren bayerischen Gemeinden getroffen.
Bürgerinitiative Schliersee: Besorgt um den Seeblick
Ein Hotel in Oberbayern, direkt am Ufer des Schliersee gelegen, Teile des Gebäudes sind an die 100 Jahre alt. Eigentlich sollte nur renoviert und ein neuer Wellnessbereich gebaut werden, dann aber stellte Eigentümer-Sohn Marcel de Alwis fest, dass die Bausubstanz teilweise erneuert werden muss. Der neue Plan: Ein weiteres Stockwerk, aus 46 Zimmern sollten 148 werden. Gut 55 Millionen Euro hätte Familie de Alwis dafür investiert.
Im Video: Kontrovers - Die Story: Die Nein-Sager: Bürgerentscheide auf dem Vormarsch?
Das Projekt fand breite Unterstützung, von Gemeinderäten bis zum Bürgermeister. Doch dann entwickelte sich Widerstand: Einige Anwohner fanden, die geplante Renovierung sei nicht mit der Bautradition in Schliersee vereinbar, sie fürchteten um ihren Ausblick. Der Architekt legte einen neuen Entwurf vor, niedriger und mit weniger Hotelzimmern. Doch das reichte den Skeptikern nicht. Revierförster Gerhard Waas gehört zur Bürgerinitiative gegen den Hotelneubau:
"Dann haben wir gesagt, dann machen wir eben ein Bürgerbegehren und lassen wir die Schlierseer entscheiden. Und dann hat man sich mit Gleichgesinnten getroffen und hat eine Bürgerinitiative gegründet und dann ging das auch Schlag auf Schlag." Revierförster Gerhard Waas
Abstimmung vorbei – wie geht es weiter?
Die Gegner setzen sich durch: 56 Prozent der Bürgerinnnen und Bürger stimmten gegen den Neubau. Kosten des Bürgerentscheids: mehrere 10.000 Euro. Wie es weitergehen soll, weiß am Schliersee niemand. Das Hotel selbst ist nicht mehr vollständig nutzbar, Hotelier Marcel de Alwis sichtlich enttäuscht:
"… es ist eh schon so schwierig, was zu bewegen bei uns in Deutschland allgemein, vor allem baulich. Und wenn dann am Schluss noch eine weitere Institution kommt oder ein Bürgerbegehren kommt, macht es das für uns als Unternehmer wahnsinnig schwer zu planen." Hotelier Marcel de Alwis
Mehr als jede vierte Gemeinde hat Erfahrung
Für einen Überblick hat das Team von BR24 Data Zahlen des Vereins "Mehr Demokratie e.V. "(Landesverband Bayern) analysiert. Nach diesen Daten gab es in den vergangenen 16 Jahren (2010-2025) in Bayern etwa 1.154 Eingaben zu Bürgerentscheiden. Mehr als jede vierte Gemeinde im Freistaat hat in diesem Zeitraum Erfahrung damit gemacht.
Den Zahlen nach wurden im Jahr 2025 in Bayern mindestens neun Bürgerbegehren angestoßen und mindestens 19 Entscheide getroffen. Allerdings sind die Daten für 2024 und 2025 noch nicht abschließend erfasst und geprüft.
Besonders im Süden konnten Bürgerinnen und Bürger oft direkt entscheiden:
Karte: Im Süden Bayerns besonders viele Bürgerentscheide
Taufkirchen: Bildungscampus versus Erdbeerfeld
In Rosenheim, Landsberg und Würzburg, aber auch im Landkreis München gab es besonders viele Abstimmungen. In der Gemeinde Taufkirchen wurden auch in diesem Jahr bereits vier Bürgerentscheide angestoßen. Nach einem Seniorenheim und einem Wohnbauprojekt nun an der Reihe: ein Bildungscampus mit fünf Privatschulen. Das Problem: Der Campus soll auf dem örtlichen Erdbeerfeld entstehen. Teils eine Gemeindefläche.
Anwohnerin Sabine Schlotterbeck ist dafür - ihr Sohn geht bereits auf eine Privatschule desjenigen Trägers, der auch in Taufkirchen bauen will. Schlotterbeck kritisiert, dass sich die meisten Bürgerbegehren gegen Projekte zugunsten von Kindern richten würden: Sportplätze, Schulen, Kinderkrippen.
Christian Sokolowski will die Erdbeerfelder am Ortsrand unbedingt erhalten – er gehört zur Bürgerinitiative der Gegner. Wachstum in Taufkirchen – ja, aber nicht zu viel und nicht zu schnell, so Sokolowski. Um die 100.000 Euro musste die Gemeinde Taufkirchen allein für diesen Bürgerentscheid aufbringen. Am Wahlabend erscheint um 22.10 Uhr auf dem Monitor des Rathauses das Ergebnis: 64 Prozent sind gegen die Ansiedlung der Privatschulen. Die Bürgerinitiative hat gewonnen.
Bürgermeister würde Gesetz verschärfen
Für den parteilosen Bürgermeister von Taufkirchen, Ulrich Sander, ist das alles zu viel. Er beobachtet Spaltungen quer durch Familien hindurch, Vorwürfe schlagen Sachargumente. Sander wünscht sich eine Gesetzesänderung:
"Ich glaube, da ist dringender Handlungsbedarf, wegen dieser Erfahrungen, dass dann einfach viele Projekte blockiert werden und auch von einer Minderheit blockiert werden, nämlich die Leute, die das ganz dringend betrifft." Ulrich Sander, parteilose Bürgermeister von Taufkirchen
Für die nächste Amtszeit als Bürgermeister will Ulrich Sander nicht nochmal antreten.
Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels war zu lesen, dass es sich bei dem Erdbeerfeld in Taufkirchen um eine Gemeindefläche handele. Richtig ist: Das Grundstück gehört nur zum Teil der Gemeinde. Der Text wurde am 20.11.2025 um 16:50 Uhr entsprechend geändert.
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