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Ein wegen Misshandlung ihres damals fünfjährigen Sohnes angeklagtes Ehepaar aus dem Landkreis Aichach-Friedberg hat vor Gericht die Taten zum Teil eingeräumt. Sie wurden mit Fußfesseln in den Saal geführt. Per Videoaufzeichnung schilderte auch der Junge seine Sicht der Ereignisse.
Kind soll mit Kabelbindern gefesselt worden sein
Laut Staatsanwaltschaft ist der 33-Jährige der leibliche Vater des Jungen. Die leibliche Mutter ist vor etwa zwei Jahren gestorben. Der Mann – von Beruf Busfahrer – lernte daraufhin die 35-jährige Angeklagte kennen, die bei ihm einzog und die er später auch heiratete.
Wenige Monate später begannen die Übergriffe auf das Kind, wie aus der Anklage hervorgeht. Es sei mehrfach von seinem Vater und einmal von der Stiefmutter geschlagen und körperlich verletzt worden. Außerdem sollen beide Angeklagte das Kind ohne Essen und Trinken für längere Zeiträume im Heizungsraum, der Abstellkammer oder im Kinderzimmer eingesperrt haben. Laut Anklage fesselten sie das Kind mit Kabelbindern an Armen und Fußgelenken und gaben ihm eine Windel und einen Beißring.
"Hat er halt mal eine gefangen"
Der Anwalt des Vaters erklärte in dem Prozess, dass die angeklagten Taten zutreffend seien. Anschließend sagte der 33-Jährige aus, bestritt aber verschiedene Vorwürfe aus der Anklage. "Ich wünschte, ich könnte vieles rückgängig machen", sagte der Vater. Er gab unter anderem zu, seinen Sohn geohrfeigt zu haben, als dieser ihn abends einmal gereizt habe. "Da hat er halt mal eine gefangen." Nach Angaben seines Rechtsanwalts will der Mann Schmerzensgeld zahlen, 1.500 Euro seien schon geflossen. Er liebe seinen Sohn, "er ist und bleibt mein Kind", sagte der Mann.
Die beschuldigte Frau sagte selbst nichts zu den Vorwürfen, ließ aber ihren Verteidiger eine Erklärung verlesen. Demnach gibt auch sie nur einen Teil der angeklagten Taten zu. Beide erklärten, überfordert gewesen zu sein, weil der Sohn aggressiv gewesen sei. So soll das Kind einen Bilderrahmen zerbrochen und die Glasscherben in Richtung der Eltern geworfen haben. Der Vater sagte, sein Sohn habe "richtige Ausraster" gehabt. Er und seine Frau, die Stiefmutter des Buben, hätten sich zuletzt auch Hilfe holen wollen. Dazu sei es dann aber nicht mehr gekommen, weil der Junge Anfang Januar weggelaufen sei.
Flucht allein auf die winterliche Landstraße
Im vergangenen Januar soll der Sohn aus dem Wohnhaus geflohen sein. Eine Zeugin entdeckte das nur leicht bekleidete Kind vom Auto aus: ein kleiner Junge, mitten im Winter, in dünner Regenjacke und mit Striemen im Gesicht, allein zwischen zwei Orten – "ich habe gespürt, dass da was nicht stimmt", so schildert es die Zeugin. Der Bub habe ihr dann gesagt, dass sein Vater "so aggro" und er deshalb weggelaufen sei. "Er war so klein, so zierlich."
Der Frau im Zeugenstand ist es zu verdanken, dass der Bub in sichere Obhut kam. Zunächst zu einer Familie im Nachbarort, die er kannte. Dann nahm sich das Jugendamt des Buben an.
Videovernehmung: "Böse Sachen gemacht"
In einer Videoaufnahme, in der der Junge als Zeuge vernommen wird, und die im Gerichtssaal heute gezeigt wurde, schildert der Bub die Vorgänge drastischer als sein Vater und die Stiefmutter: Diese hätten "böse Sachen gemacht". Er sei "öfter" eingesperrt worden, auch in einem Heizungskeller. Geschlagen worden sei er auch, zum Teil mit einem großen Besen, immer gegen den Kopf. Er wäre auch gern öfter den Kindergarten gegangen, doch das hätten die Eltern nicht gewollt.
Als seine Mutter noch gelebt habe, sei es besser gewesen. Zurück zu seinem Vater und seiner Stiefmutter wolle er nicht mehr, erklärt das Kind mit knappen Worten.
Durch Misshandlung soll sich der Junge zurückentwickelt haben
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft hat sich der zuvor altersgerecht entwickelte Junge durch die fortdauernde Vernachlässigung und Misshandlung massiv zurückentwickelt. Es müsse davon ausgegangen werden, dass er sein Leben lang ein Risiko für psychische Folgeschäden behalte, meinte die Anklägerin. Sie wirft den Eltern eine "gefühllose Gesinnung" vor.
"Er ist ein Survivor"
Etwas hoffnungsvoller klingen die Ausführungen von Anwältin Isabel Kratzer-Ceylan, die den Buben vor Gericht in der Nebenklage vertritt. "Er ist ein Survivor." In seiner derzeitigen Unterbringung in einer Pflegefamilie fühle er sich wohl.
Die Vorwürfe der Anklage
Den Angeklagten wird unter anderem schwere Misshandlung von Schutzbefohlenen, gefährliche Körperverletzung und Freiheitsberaubung vorgeworfen. Der Angeklagte muss sich neben den Misshandlungsvorwürfen noch verantworten wegen des Fahrens ohne Führerschein. Er hatte heute zugegeben, auch nach Entzug der Fahrerlaubnis noch als Busfahrer unterwegs gewesen zu sein – mit Schulkindern an Bord. Das Urteil in dem Prozess wird am Donnerstag erwartet.
Mit Material von dpa.
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