Scharf hatte sich der Bamberger Erzbischof Herwig Gössl in seiner vergangenen Sonntagspredigt in die Debatte um die zur Bundesverfassungsrichterin vorgeschlagenen Juristin Frauke Brosius-Gersdorf eingeschaltet. Nun ist es am Donnerstag zu einem Telefonat gekommen.
Nach Mitteilung des Erzbistums Bamberg, die dem BR vorliegt, ist Gössl "falsch informiert" gewesen. Er bedauere das "nachdrücklich", hieß es in der Mitteilung. Er habe angenommen, dass Brosius-Gersdorf "angeblich das Lebensrecht ungeborener Menschen bestreitet". Das Telefonat wäre "von gegenseitigem Respekt" geprägt gewesen.
Auf Nachfrage des BR heißt es aus dem Erzbistum Bamberg, Gössl habe sich in dem Telefonat bei der Juristin entschuldigt. Der Erzbischof könne nachvollziehen, dass sich Brosius-Gersdorf aufgrund seiner zuvor getätigten Aussagen verletzt gefühlt habe. Gössl habe in dem Gespräch deutlich gemacht, dass er die Juristin nie persönlich angreifen wollte, sondern es ihm lediglich um das Sachthema Lebensschutz gegangen sei. Die Juristin wiederum habe gegenüber dem Bischof deutlich gemacht, dass auch sie sich für den Schutz ungeborenen Lebens einsetze.
Von "Abgrund der Intoleranz" zu "gegenseitigem Respekt"
In seiner Predigt am vergangenen Sonntag sprach Gössl im Zusammenhang mit der Nominierung einer Richterin für das Bundesverfassungsgericht von einem "innenpolitischen Skandal". Es tue sich ein "Abgrund der Intoleranz und Menschenverachtung" auf, wenn Schwächere, Ungeborene, Pflegebedürftige, Alte, psychisch Kranke, sozial Schwache und Verfolgte keine Stimme mehr hätten. Den Namen der designierten Richterin nannte der Erzbischof nicht.
Zuvor hatten rechtspopulistische Medien und Influencer massenhaft falsche Informationen über die Juristin gestreut. Experten sprechen von einer Kampagne gegen Brosius-Gersdorf, mit dem Ziel, die Juristin als Verfassungsrichterin zu verhindern.
Auslöser waren mutmaßlich Aussagen, wonach sie sich offen für ein mögliches AfD-Verbotsverfahren zeigte. Einige Tage vor der Wahl wurde daher unter anderem die Behauptungen gestreut, Brosius-Gersdorf wolle Abtreibungen bis zum neunten Schwangerschaftsmonat legalisieren.
CSU: Abtreibungsgegner schickten hunderte Mails
Bundestagsabgeordnete der CSU hatten auf Nachfrage des BR erklärt, im Vorfeld hunderte, meist wortgleiche Mails erhalten zu haben, in denen vor der Wahl der Juristin gewarnt worden sei. Die Formulierungen hätten oft einer Hetzschrift gegen Brosius-Gersdorf geglichen, hätten ihr falsche Zitate in den Mund gelegt und Fakten verdreht. Die meisten Absender hätten zudem gedroht, die CSU künftig nicht mehr zu wählen, wenn die Wahl nicht verhindert würde.
Desinformations-Experten hatten zuvor berichtet, dass allen voran Abtreibungsgegner auf der Plattform "1000plus" dazu aufgerufen hatten, Mails an Abgeordnete von CDU und CSU zu schreiben. Nach Angaben der Betreiber seien vor der Richterwahl mehr als 37.000 solcher Mails über die Plattform verschickt worden.
Brosius-Gersdorf: Wortmeldungen aus katholischer Kirche "infam"
Zwei Tage nach Gössls Predigt bezog sich Brosius-Gersdorf im ZDF explizit auf den Bamberger Erzbischof, um zu begründen, warum sie sich nach tagelanger Kritik an ihrer Nominierung als mögliche Bundesverfassungsrichterin nun ausführlich in einem Fernsehinterview äußert.
Gössls Wortmeldung empfand sie bei der "Kampagne" gegen sie als "besonders verstörend" und "infam", so Brosius-Gersdorf. "Ich möchte einfach mal daran erinnern, dass auch Vertreter der katholischen Kirche an die Verfassungswerte unseres Grundgesetzes gebunden sind und damit auch an meine Menschenwürde und mein Persönlichkeitsrecht. Einfach bitte darüber mal nachdenken", so Brosius-Gersdorf in der ZDF-Sendung "Lanz".
In einer ersten Reaktion verteidigte sich der Erzbischof daraufhin. Es sei ihm nicht um persönliche Diffamierungen gegangen, "auch nicht darum, in irgendeiner Weise zu hetzen – schon gar nicht gegen eine Person", sagte Gössl der "Welt". Am Mittwoch wurde dann bekannt, dass er Brosius-Gersdorf ein Gespräch angeboten habe, zu dem es nun gekommen ist.
DBK-Vorsitzender Georg Bätzing: "Viel schiefgelaufen"
Schon im Vorfeld hatte sich der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), der Limburger Bischof Georg Bätzing, solidarisch mit Brosius-Gersdorf gezeigt. "In der gesamten Debatte ist viel schiefgelaufen", so der DBK-Vorsitzende am Mittwochabend bei einer Veranstaltung der "Augsburger Allgemeinen". "Diese Frau hat es nicht verdient, so beschädigt zu werden", so Bätzing weiter.
Das Erzbistum Bamberg bekräftigte derweil in seiner Mitteilung über das Gespräch zwischen Gössl und der Juristin, er halte an seiner Überzeugung fest, "dass es keinen abgestuften Lebensschutz" geben könne. Umgekehrt habe Brosius-Gersdorf in dem Telefonat klargemacht, sich "immer schon" für den Schutz des ungeborenen Lebens eingesetzt zu haben – "und das auch heute".
Sie interessieren sich für Religion, Kirche, Glaube, Spiritualität oder ethische Fragen? Dann abonnieren Sie den Newsletter der Fachredaktion Religion und Orientierung.