Da war er wieder, der polternde Hubert Aiwanger. Beim Gillamoos schimpfte der Freie-Wähler-Chef vor einem Monat auf EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ("fahr bitte den Rest deines Lebens in bezahlten Urlaub – möglichst weit weg"), die Bundesregierung ("schlechter kann es bald nicht mehr werden"), auf SPD und Grüne. Er sprach von Messerstechern ("in sehr vielen Fällen nordafrikanische Migranten, die nicht nach Deutschland gehören"), kritisierte Aussagen "sogenannter Wissenschaftler" in der Corona-Zeit.
Im Bierzelt gab es Jubel und "Hubert"-Rufe. Bei so manchem FW-Politiker hält sich die Begeisterung indes in Grenzen. Teile der Rede seien "definitiv zu weit" gegangen, sagt der Kemptener FW-Oberbürgermeister-Kandidat Christian Schoch. Die Freien Wähler sollten vorleben, "wie Politik auch gehen kann: nämlich, dass man nicht übereinander schimpft". Auch der Ansbacher Landratskandidat Marco Meier warnt davor, Grenzen zu überschreiten: Die FW könnten eine bürgerliche, heimatverbundene Kraft sein, "ohne in dieses rechtspopulistische Eck gehen zu müssen".
Strategische Überlegungen der Freien Wähler
Mit Blick auf die Kommunalwahlen in knapp fünf Monaten halten einige FW-Kandidaten den Kurs des Parteichefs für bedingt hilfreich. Zum einen aus dem Selbstverständnis der Freien Wähler heraus: "Weil wir zum großen Teil keine klassische Partei sind, sondern eher ein Zusammenschluss engagierter Bürgerinnen und Bürger (...), die sich einfach für die Belange vor Ort einsetzen", sagt Meier. Schoch sieht die Freien Wähler als "Hafen" für alle, die sich keiner Partei zuordnen können und "ideologiefrei denken".
Zum anderen aus strategischen Gründen: Erhält bei der Bürgermeister- oder Landratswahl ein Kandidat am 8. März nicht die absolute Mehrheit, gehen zwei Bewerber in die Stichwahl. Dann sei ein FW-Kandidat "auch auf Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger angewiesen, die halt im ersten Wahlgang SPD, FDP, Grüne und so weiter gewählt haben", erläutert Meier und plädiert für "Sachlichkeit und Augenmaß" im Umgang mit Konkurrenten.
Überhaupt ist der politische Alltag in Kreis- und Gemeinderäten ein anderer als im Landtag: "Auf kommunaler Ebene arbeiten wir traditionell sehr parteiübergreifend und an Sachthemen orientiert", betont der Landrat des Nürnberger Lands, Armin Kroder. Auch für Anton Speer, Landrat von Garmisch-Partenkirchen, ist Zusammenarbeit mit allen wichtig. "Ich will keine Parteipolitik."
Über Aiwanger: "Er polarisiert halt sehr"
Zu all dem passt Aiwangers Rhetorik laut Schoch nicht. Er habe die Erfahrung gemacht, dass der Niederbayer im Kommunalwahlkampf kein großes Zugpferd sei. Immer wieder kämen Menschen auf ihn zu, die die Freien Wähler eigentlich gut finden, aber mit Aiwanger "nichts anfangen können", schildert der Bürgermeisterkandidat. "Er polarisiert halt sehr."
Freie-Wähler-Generalsekretärin Susann Enders widerspricht und verteidigt den Parteichef: "Ich kann keine Polarisierung erkennen." Wenn Aiwanger Probleme anspreche, sei das "ehrlich, mutig und nicht negativ".
Kommende Kommunalwahl: "Mutter aller Wahlen"
Zuletzt hatten die FW vergleichsweise schwache Wahlergebnisse eingefahren. Bei der Bundestagswahl scheiterten sie mit 1,5 Prozent deutlich an der Fünf-Prozent-Hürde, bei der Europawahl waren es bundesweit 2,7 Prozent. Umso mehr Hoffnungen ruhen auf den Kommunalwahlen – für die Freien Wähler ohnehin die "Mutter aller Wahlen". "Dort wollen wir unseren Weg der jüngeren Vergangenheit zur zweiten großen Volkspartei in Bayern neben der CSU fortsetzen", betont Digitalminister Fabian Mehring.
Bislang sind die FW vor allem auf dem Land stark. Das solle sich nun ändern, sagt Landrat Kroder: "Die großen Städte sind für uns ganz wichtige Bereiche, in denen wir unser Potenzial noch lange nicht gehoben haben." Auch Mehring attestiert seiner Partei "Nachholbedarf" in Städten. "Da soll ein echter Durchbruch gelingen." Das Ziel: Auf dem Land und in Städten zweitstärkste Kraft zu werden. "Dafür stellen wir uns gerade auch jünger, weiblicher, moderner, thematisch breiter auf." Also Konkurrenz für den Mann, der seit fast zwei Jahrzehnten an der Parteispitze steht?
Wie ist Aiwangers Standing?
Aiwanger gilt als Kämpfer für Menschen in ländlichen Regionen. Diese Kernklientel dürfe man "auf keinen Fall vernachlässigen", mahnt der Landtagsabgeordnete Felix von Zobel. Für die Zukunft würde er sich einen "jungen Kopf" wünschen, vielleicht Digitalminister Fabian Mehring – es gebe aber keine Eile. "Ich glaube, dass wir jetzt noch auf den Hubert bauen sollen. Und wenn der Hubert nicht mehr da ist, dann auf Fabian Mehring."
Eine "One-Man-Show" tue keiner Partei gut, betont Landratskandidat Meier. Er wünscht sich mehr prominente Köpfe neben Aiwanger. Mehring lobt zwar den Parteichef: "Aiwanger kennt man von Flensburg bis Lindau." Das sei auch für die Kommunalwahlen "ein echtes Pfund". Um alle gesellschaftlichen Schichten in allen Regionen anzusprechen, brauche es aber "viele exponierte" Köpfe. Deswegen gelte: "Aiwanger und Mehring – und möglichst viele andere darüber hinaus".
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