Gewalt ist längst Teil der Lebensrealität vieler Kinder und Jugendlicher. Die aktuelle Strafverfolgungsstatistik für Bayern bestätigt, was Studien bereits zeigen: Es gibt immer mehr sehr junge Täter. 2024 wurden in Bayern rund 930 Jugendliche wegen Gewaltkriminalität verurteilt – fast 20 Prozent mehr als im Vorjahr.
Dass sowohl Täter als auch die Opfer zunehmend jünger werden, stellt auch Ramazan Varisli fest. Er ist Thai-Box-Trainer in München-Neuhausen sowie Neuperlach und arbeitet häufig mit gefährdeten Jugendlichen zusammen. Sein Ziel: Sie sollen beim Training ein Ventil finden und Dampf ablassen können. Das BR-Politikmagazin Kontrovers begleitet ihn beim Training.
Struktur durch Respekt und strenge Regeln
Wer bei Varisli trainieren will, muss seine strengen Regeln akzeptieren: Pünktlichkeit, Disziplin und Respekt vor anderen. Einige der Jugendlichen, die hier sind, haben sich früher in der Schule oder auf der Straße geprügelt.
Der 17-jährige Salar erzählt, dass er als Jüngerer "sehr viel Scheiß" gebaut habe. Das Training und einen Ansprechpartner zu haben, habe ihm geholfen: "Seitdem ich hier bei Ramazan bin, wofür ich sehr, sehr dankbar bin, bin ich von dieser Scheiße weggekommen." Seit Jahren trainiert der 17-Jährige hier im Club. Er hat sogar schon einige Titel gewonnen. Heute versteht er seine einstigen Motive: "Einfach, um aufzufallen, auf cool zu machen vor den ganzen Jungs, um zu beweisen, wer man ist."
Auch der 19-jährige Arda hat bei Varisli viel gelernt. "Ich hab' Kollegen, die jetzt in die falsche Richtung gegangen sind, die Drogen verkaufen oder andere Sachen. Ich hab' mir gedacht: Ich gehe den richtigen Weg, mit dem ich Kampfsport durchziehe, weil das ist so das Einzige, wo ich Adrenalin habe."
Täter werden zunehmend jünger
Im Landeskriminalamt werten Figen Özsöz und ihr Kollege Michael Laumer von den Polizeidienststellen die in Bayern gemeldeten Zahlen zu Tatverdächtigen aus. Die Täter werden immer jünger: Seit dem Jahr 2015 ist die Zahl der tatverdächtigen Kinder von 520 auf 1.289 gestiegen, bei den Jugendlichen von gut 1.900 auf 2.782.
"Studien zeigen, dass die emotionalen und sozialen Fähigkeiten von jungen Menschen abgenommen haben. Die Fähigkeit zur Selbstkontrolle scheint geringer geworden zu sein. Das geht natürlich mit einem impulsiven, aggressiven Verhalten einher", erklärt Özsöz von der Kriminologischen Forschungsgruppe der Bayerischen Polizei.
Im Video: Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) im Kontrovers-Interview
Georg Eisenreich, bayerischer Justizminister
Auch Kontrovers-Umfragen zeigen: Gewalt ist vielen Jugendlichen vertraut. Manche suchten gar bewusst nach Stress, weil ihnen ihr Leben langweilig erscheine und sie "mal ein bisschen Action" wollten.
Authentizität und Nahbarkeit
Für viele Jugendliche hier in seinem Box-Club ist Ramazan Varisli mehr als ein Trainer. Er ist gewissermaßen auch Eben- und Vorbild: Sohn türkischer Gastarbeiter, mühsam Deutsch gelernt, wurde im Judo Europameister, später Vize-Weltmeister. Auch er hatte es nicht leicht, doch er hat sich durchgekämpft.
Wenn Varisli den Jugendlichen von seinem Leben erzählt, wird er oft mit großen Augen angeschaut: "Die Hälfte meiner Freunde von früher sind entweder abgeschoben worden, im Gefängnis oder eben schon tot."
Eigentlich arbeitet Varisli als Hausmeister. Doch mit den Jugendlichen trainiert er sechs Tage in der Woche, fährt mit ihnen zu Wettkämpfen. Der Verein bietet vielen von ihnen Unterstützung, Zuflucht und Sicherheit.
Auch Raubdelikte nehmen zu
Neben Gewalt- sind auch Raubdelikte Thema der Jungen. Seit 2015 ist die Zahl der tatverdächtigen Kinder von gut 60 auf 157 gestiegen, die der Jugendlichen von 350 auf 790.
Die Jugendlichen, die hier trainieren, scheinen einen anderen Weg gefunden zu haben. Das Erfolgsrezept ist kein Geheimnis, Melike beschreibt es so: "Disziplin, bisschen Kopf raus, Adrenalin, etwas, das Dir Spaß macht." Möglich ist das vor allem durch viel Engagement der Beteiligten. Doch Trainer Ramazan Varisli wünscht sich mehr Unterstützung vom Staat: "Wir sind ein kleiner Verein und da wird einfach zu wenig dafür getan."
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