Sie sehen es als Challenge, an einem Tag auf Deutschlands höchsten Berg, die Zugspitze, zu wandern. Und das nach eigenen Angaben größtenteils unvorbereitet. Einige outen sich als komplett unsportlich, waren noch nie wandern, schon gar nicht im hochalpinen Gelände. Andere haben schlechtes Schuhwerk, was sie ihren Hunderttausenden Followern fröhlich lachend erzählen. Einer hat laut eigenen Angaben Höhenangst. Und einer schildert gar, er habe vor der Tour höchstens eine Stunde lang geschlafen, im Auto.
In Videos auf Tiktok, Instagram und Co. lassen junge Influencerinnen und Influencer ihre Follower den wagemutigen Anstieg auf 2.962 Meter Höhe miterleben. "Wir sind unvorbereitet", räumt Influencer propagandacheff ein, der im August ein Video von der Wanderung auf die Zugspitze mit mehreren Freunden postete. "Aber das ist alles scheißegal, wir sind jung, wir sind dynamisch", rechtfertigt er sich.
Erschöpfte Influencerin: "Warte, bis der Tod kommt"
Im Laufe der Wanderung kommen die meisten Influencer an ihre Grenzen und schildern das - durchaus dramatisch - auch ihren Followern: "Ich bin kurz vorm Sterben", sagt etwa Influencer juliankmn.26 in einem vor wenigen Tagen veröffentlichten Clip, als er die Hälfte des Weges hinter sich gebracht hat. "Ich hocke mich jetzt hin, und warte, bis der Tod kommt", sagt Influencerin fitbyhannah, die ebenfalls im August die Tour unternommen hat. "Am gleichen Tag gab's noch Neuschnee und es lief echt anders als erwartet", räumt Influencer jonathan.schoeck ein, der sein Video im Juli postete. Am Ende stehen dann doch alle am Gipfel, sichtlich erschöpft, aber stolz, dass sie es geschafft haben.
Alpenverein appelliert an gesunden Menschenverstand
Auf Social-Media-Plattformen wie Instagram und Tiktok gebe es natürlich Videos, in denen Blödsinn verbreitet werde, kritisiert Stefan Winter vom Deutschen Alpenverein im Interview mit BR24. Jedem mit gesundem Menschenverstand und Medienkompetenz sollte klar sein, dass es ein "Schmarrn" sei, spontan und ohne Ausrüstung auf die Zugspitze zu wandern.
"Auf vielen Instagram-Profilen werden die Berge sehr actiongeladen dargestellt", so Winter. Das sieht der Experte als Problem, "denn der Mensch ist ein Wesen, das zu Schwarmverhalten neigt". Schlechtes Wetter, Steinschlag, Absturzgefahr, mangelnde Kondition und unzureichende Ausrüstung könnten Nachahmer überfordern und zu Bergunfällen führen. Er sieht die Influencer in der Verantwortung, sich der Botschaften solcher Heldenvideos bewusst zu sein. Diese dürften nicht nur die schönen Seiten zeigen, sondern müssten auch auf die alpinen Gefahren aufmerksam machen.
Bergwacht warnt: Tour muss gut vorgeplant werden
Eine komplexe Bergtour wie jene zur Zugspitze müsse immer gewissenhaft vorgeplant werden, warnt Roland Ampenberger von der Bergwacht Bayern. Neben guter Ausrüstung sei es wichtig, die Wetterbedingungen zu checken. Allein schon schlechte Sichtbedingungen, etwa durch Nebel, seien am Berg sehr gefährlich. "Wenn dann Nässe und Kälte hinzukommt, dann ist es natürlich etwas anderes, als wenn ich in einer Bushaltestelle im Tal mal kurz nass wäre und dann in drei Minuten zu Hause bin", sagt er im Gespräch mit BR24.
Wichtig sei auch der kritische Blick auf sich selbst: Es gelte, darauf zu achten, dass man sich in körperlich guter Verfassung befindet. Der Berg setzt Kondition und technische Fähigkeiten voraus.
Influencer: "Abwechslung im Alltag, die ich brauche"
Auf Nachfrage von BR24 haben sich die meisten Influencer nicht zurückgemeldet. julian.kmn26 erklärt sein Bergabenteuer so: Er suche "immer nach Herausforderungen". Jeder solle das machen, was ihn glücklich macht. "Das gibt mir so ein bisschen die Abwechslung im Alltag, die ich brauche."
Ob es aufgrund solcher Challenge-Videos in den sozialen Medien und möglicher Nachahmer zu mehr Unfällen kommt, lässt sich nicht mit Zahlen belegen. Angesprochen auf die Gefahr, sich selbst zu verletzen und dabei auf die Hilfe von Rettungskräften angewiesen zu sein, gibt sich julian.kmn26 zuversichtlich: "Ich bin sehr optimistisch, dass mir nichts passiert. Aber falls doch, ist das ein Risiko, welches ich tragen muss."
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