"Die Sorgen der Angehörigen, der Bewohner werden Jahr für Jahr größer", sagte Georg Sigl-Lehner. Er leitet ein Alten- und Pflegeheim in Altötting und berichtet bei "jetzt red i", dass Pflegebedürftige in seiner Region rund 3.400 Euro monatlich für einen Platz im Pflegeheim selbst beisteuern müssten. Im Bundesdurchschnitt liegt der Eigenanteil bei gut 3.000 Euro.
Gerlach: Obergrenze bei Eigenanteil wäre "Gießkannenprinzip"
Die Bund-Länder-Kommission "Zukunftspaket Pflege" will Lösungen finden, um die steigenden Eigenanteile zu begrenzen. Petra Köpping (SPD), Mitglied der Kommission und sächsische Sozialministerin, hatte Anfang September eine Obergrenze von 1.000 Euro pro Monat gefordert.
Die bayerische Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU), ebenfalls Kommissionsmitglied, sprach sich bei "jetzt red i" im BR Fernsehen nun gegen diesen Vorschlag aus. Sie sagte: "Das würde bedeuten, dass es wie im Gießkannenprinzip für jeden gelten sollte." Das führe zu sozialen Ungerechtigkeiten, da auf der einen Seite ein Teil der Bevölkerung, der sich den Eigenanteil leisten könne, unnötig entlastet werde. "Auf der anderen Seite wird es auch Menschen geben, die auch diese 1.000 Euro nicht aufbringen können."
Bayerns Pflegeministerin Judith Gerlach (CSU) nannte die diskutierte 1.000 Euro-Obergrenze für den Eigenanteil im Pflegeheim sozial ungerecht.
Andreas Hanna-Krahl, Sprecher für Gesundheit und Pflege der Grünen im bayerischen Landtag, betonte, dass das Geld im System zielgerichteter eingesetzt werden müsse. Um den Eigenanteil zu senken, könnte etwa das bayerische Landespflegegeld zukünftig auch für Investitionskosten genutzt werden: "Damit werden wir keine Deckelung erreichen, aber wir kriegen eine Entlastung auch sehr kurzfristig hin."
Pflegenden Angehörigen droht die Armut
Mehr als 80 Prozent der Pflegebedürftigen in Deutschland werden aber nicht in Heimen, sondern von ihren Angehörigen zu Hause gepflegt (externer Link). Auch sie sind finanziellen Belastungen ausgesetzt, betonte Viktoria Zettel. Weil sie sich 24 Stunden am Tag um ihren schwerbehinderten Sohn kümmern müsse, könne sie nicht arbeiten.
"Es gibt keinen Gehaltsersatz", kritisierte sie. Familien seien deshalb akut von Armut bedroht. "Alles ist ein einziger Kampf", erzählte sie und forderte ein Care-Gehalt für besonders betroffene pflegende Angehörige.
Gerlach: Familienpflegegeld ist denkbar
Eine Entlohnung für pflegende Angehörige wird auch in der Politik diskutiert – in Form eines Familienpflegegeldes, das als Lohnersatz dienen könnte. Gesundheitsministerin Gerlach sagte, das Familienpflegegeld sei denkbar, verwies aber auf die schwierige Finanzlage: "Ich glaube nicht, dass es jetzt mit den Reformbestrebungen kommt."
Bundesfamilienministerin Karin Prien (CDU) hatte sich im Mai grundsätzlich für das Familienpflegegeld ausgesprochen. Im Koalitionsvertrag ist festgehalten, dass eine solche Unterstützungsleistung geprüft werden soll.
Hanna-Krahl für Entlohnung pflegender Angehöriger nach österreichischem Vorbild
Andreas Hanna-Krahl schlug ein Modellprojekt aus dem österreichischen Burgenland vor, um pflegende Angehörige zu unterstützen.
Sie können dort für ihre Pflege-Arbeit bei einem landeseigenen Unternehmen sozialversicherungspflichtig angestellt und entlohnt werden. Es sei nicht die "Allheillösung" und brauche gewisse Anpassungen, betonte der Grünen-Politiker. Aber es sei eine Möglichkeit, damit besonders ausgeprägte Fälle im Alter "nicht in die Armutsfalle tappen".
Andreas Hanna-Krahl (Grüne) will das vorhandene Geld im Pflegesystem zielgerichteter einsetzen.
Bürokratie als Belastung
Von einem weiteren Problem berichtete Irmgard Kunzmann. Sie ist pflegende Mutter und erzählte, dass beantragte Hilfsmittel oder die Höherstufung eines Pflegegrades stets abgelehnt würden. Erst, nachdem sie Widerspruch eingelegt hatte, folgte die Genehmigung. "Es ist sehr ungerecht, weil genau die Angehörigen, die keine Kraft mehr haben, können das nicht machen", kritisierte sie.
"Das ist kein Einzelfall", bestätigte Gerlach und betonte, der Bürokratieabbau müsse Teil der Pflegereform sein. Aber sie verteidigte auch den medizinischen Dienst, der für die Prüfungen zuständig ist: "Wenn wir nicht prüfen würden, wären die Ausgaben natürlich ungesteuert und damit um ein Vielfaches höher."
Appell für eine große Reform
Die Bund-Länder-Kommission wird bis Ende des Jahres Vorschläge für eine Reform erarbeiten. Karin Wimmer, die ein Heim im Landkreis Mühldorf leitet, richtete bei "jetzt red i" einen dringenden Appell an Kommissionsmitglied Judith Gerlach: "Es muss eine große Pflegereform sein, die nachhaltig die Pflege wieder auf stabile Füße stellt" – und zwar jetzt, nicht erst in der nächsten Legislaturperiode.
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