Vier Monate nach dem Ende des Runden Tisches zu einer Reform der direkten Demokratie in Bayern arbeitet die Staatskanzlei an einem Gesetzentwurf. Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger warnt die bayerische Regierungszentrale im Interview mit dem BR-Politikmagazin Kontrovers vor fast allen Einschnitten bei der Bürgerbeteiligung – und zieht aus Sicht seiner Freien Wähler eine rote Linie: "Generell zu sagen, wir reduzieren die Bürgerbeteiligung, da gehen wir nicht mit."
Der Wirtschaftsminister schlägt ganz andere Töne an als der Ministerpräsident: Markus Söder (CSU) hatte im vergangenen Jahr in einer Regierungserklärung beklagt, Bürgerentscheide würden zunehmend "als Blockade" gegen den Bau von Windrädern oder Krankenhäusern eingesetzt. Aiwanger widerspricht: "In dieser pauschalen Aussage hat er nicht recht." Bayern leide "überhaupt nicht unter Bürgerbegehren". Für Aiwanger steht fest: "Wir kommen nicht daran vorbei, die Bürger mitzunehmen, wenn uns auch deren Entscheidungen nicht immer gefallen."
Söder: Bürger bremsen manche Vorhaben
Söder hatte – unter dem Eindruck des Neins der Bürger im oberbayerischen Mehring zu einem großen Windpark – eine "Weiterentwicklung von Bürgerentscheiden" gefordert. Manche Vorhaben in Bayern würden "von den Bürgern selbst gern gebremst". Direkte Demokratie sei zwar ein hohes Gut, Bayern habe aber viel weitergehende Regelungen als alle anderen Bundesländer. Es müsse die richtige Balance "zwischen Allgemeinwohl und Partikularinteressen" gefunden werden.
Die Staatskanzlei setzte dafür einen Runden Tisch unter der Leitung von Ex-Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) ein. Mit dabei: Parteien, kommunale Ebene, Wirtschafts- und Umweltverbände und auch der Verein "Mehr Demokratie Bayern". Die Mehrheit der Teilnehmer lehnte größere Einschnitte bei Bürgerbegehren ab, schlug aber doch mehrere Änderungen vor. Wie eng sich die Staatskanzlei bei ihrem Gesetzentwurf an die Ergebnisse des Runden Tisches hält, ist bisher nicht bekannt.
Aiwanger: Bürgerbeteiligung sogar ausweiten
Aiwanger zeigt sich im "Kontrovers"-Interview überzeugt, dass keine höheren Hürden für Bürgerbeteiligung nötig sind, sondern mehr Überzeugungsarbeit. Natürlich gebe es Bauprojekte, die an einem Nein der Bürger gescheitert seien. "Aber ich glaube, wir müssen eher auf die Bürger zugehen, müssen im Vorfeld versuchen, dann die Mehrheiten zu organisieren, die Bürger von der Sinnhaftigkeit solcher Projekte zu überzeugen."
Wenn eine Mehrheit vor Ort dagegen sei, mache es keinen Sinn, ein Projekt einfach ohne Abstimmung durchzuziehen. Im Gegenteil: "Ich glaube, dass wir sogar die Bürgerbeteiligung ausweiten müssen." Konkret plädiert Aiwanger dafür, standardisierte Bürger-Dialoge einzuführen: "Wenn sich eine strittige Situation aufbaut, dass wir im Vorfeld die Bürger vielleicht mit einem externen Moderator an einen Tisch bringen, das Für und Wider dieses Projekts diskutieren." Bisher gebe es dies eher zufällig, "aber nicht institutionalisiert".
Auch zu Krankenhäusern will Aiwanger Bürgerentscheide
Während sich ein Großteil der Teilnehmer des Runden Tisches vorstellen konnte, Entscheide über Krankenhäuser nicht mehr zuzulassen, lehnt Aiwanger auch dort Einschnitte ab: "Wir Freien Wähler sind aus heutiger Sicht nicht dafür, dass man über Krankenhäuser nicht mehr abstimmen darf."
Auch bei diesem Thema gelte es, gut zu erklären. Dann werde "in den allermeisten Fällen" die Bürgerschaft mehrheitlich mitgehen und beispielsweise einer Umstrukturierung des Krankenhauses zustimmen. "Auch hier appelliere ich, mit den Bürgern zu reden und nicht zu sagen, ihr versteht davon eh nichts, darüber stimmen wir nicht mehr ab."
Trotz der Differenzen zwischen CSU und Freien Wählern zeigte sich Aiwanger zuversichtlich, dass sich die schwarz-orange Koalition beim Thema Bürgerbegehren letztlich einigen wird. "Dialog ist alles. Also: Auch hier uns engstens mit einbinden, dann kommt ein gutes Ergebnis raus."
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!
