"Das Bordell Europas" – so wird Deutschland im Zusammenhang mit Prostitution häufig genannt. Hier gilt das Geschäft als besonders lukrativ. Doch während anderen Branchen genau auf die Finger geschaut wird, kassiert der Staat im Rotlichtmilieu erstaunlich wenig Steuern – obwohl er dazu rechtlich verpflichtet ist. Umfragen des BR-Politikmagazins Kontrovers lassen vermuten, dass der Staat auf Milliarden verzichtet. Bayern zum Beispiel antwortet auf eine Anfrage dazu sehr unkonkret.
Prostitutionsschutzgesetz: Sexarbeit als Dienstleistung
Seit 2001 gilt das Prostitutionsschutzgesetz. Damit soll der Schutz von Sexarbeitenden verbessert werden. Seitdem gilt Prostitution als Dienstleistung, genau wie Friseurhandwerk oder Gastronomie. Doch gleich behandelt werden die Branchen nicht. Schon 2014 hat der Bundesrechnungshof geklagt: Die Besteuerung der Prostitution sei nach wie vor vollkommen unzureichend. Aufgabe des Bundesministeriums der Finanzen sei es, die Grundlagen für eine praktikable und bundeseinheitliche Besteuerung zu schaffen. Für den Vollzug sind dann die Länder zuständig. Passiert ist bisher nichts.
Sexarbeit: Ein Milliardengeschäft
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes sind in Deutschland 32.000 Prostituierte offiziell registriert. Die deutsche Steuergewerkschaft geht jedoch von rund 250.000 Sexarbeiterinnen aus, der Bundesrat von einer Zahl zwischen 150.000 und 700.000. Geht man davon aus, dass jede von ihnen fünf Kunden am Tag zu je 50 Euro bedient, ergibt das einen Jahresumsatz von rund 22 Milliarden Euro – allein für sexuelle Dienstleistungen. Hinzu kommen Einnahmen aus Getränken, Zimmermieten und Extrawünschen. Zwar gehen Steuerfahnder immer wieder gegen Rotlichtbetriebe vor, doch das reicht bei weitem nicht. In dem Milieu verschwimmt die Grenze zur organisierten Kriminalität. Hinzu kommt ein ständiger Wechsel der Prostituierten, häufig kommen sie aus dem Ausland.
Kontrovers-Umfrage: Steuereinnahmen deutlich unter Experten-Schätzung
Auf eine Kontrovers-Umfrage bei allen Bundesländern hin melden nur wenige Ministerien und Landesämter überhaupt konkrete Zahlen – insgesamt ergeben sich Steuereinnahmen im einstelligen Millionenbereich. Für Florian Köbler, Vorsitzender der deutschen Steuergewerkschaft, ein Witz. Er rechne damit, dass in Wirklichkeit 1,5 Milliarden an Steuergeldern im Jahr anfallen müssten.
"Jede Branche, jedes Gewerbe ist von der Verfassung her verpflichtet, gleich behandelt zu werden. Es fällt also auch definitiv der Rotlichtbereich darunter. Getan werde viel zu wenig", sagt Köbler weiter.
Die Politik schweigt
Über das Thema reden will kaum jemand. Anfragen von Kontrovers an Politiker im Landtag und auch im Bundestag werden abgelehnt: keine Zeit, nicht ihr Ressort. Dabei könnten diese Gelder zumindest ein wenig helfen, die Milliardenlöcher im Bundeshaushalt und in der Folge auch bei den Länderhaushalten zu stopfen. Aber auch Bayern hält sich bedeckt. Finanzminister Füracker will sich auf Anfrage von Kontrovers zu dem Thema nicht äußern. Dabei liegt eine mögliche Lösung längst auf dem Tisch.
Lösung: Düsseldorfer Verfahren?
In sieben Bundesländern existiert bereits das "Düsseldorfer Verfahren": Jede Sexarbeiterin zahlt einen Pauschalbetrag pro Arbeitstag – aktuell zwischen 7,50 und 30 Euro. Köbler fordert im BR-Politikmagazin Kontrovers, dass diese Summe steigen und das Modell bundesweit gelten müsste. Doch dafür braucht es eine rechtliche Grundlage. Selbst dann wären die Steuereinnahmen zwar noch immer zu niedrig, aber deutlich höher als bisher. Doch der Bund schafft die gesetzliche Grundlage seit Jahren nicht – trotz milliardenschwerer Haushaltslöcher.
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