Anfang September 2015 wurden Tausende Geflüchtete am Münchner Hauptbahnhof herzlich empfangen. Olaf von Löwis (CSU), damals Bürgermeister im oberbayerischen Holzkirchen, sagt rückblickend: "Das hat mich wahnsinnig berührt." Die Bevölkerung in seiner Region stand damals der Aufnahme der Geflüchteten überwiegend positiv gegenüber. "Es herrschte eine Aufbruchsstimmung", erinnert sich von Löwis.
Aufnahme Geflüchteter: Nach herzlichem Empfang auch Ängste
Doch schon früh kamen auch Ängste auf, vor allem bei Anwohnern und Anwohnerinnen einer neu geschaffenen Flüchtlingsunterkunft. Auch Geflüchtete organisierten sich vor Ort in einem Protestcamp, um gegen ihre Unterbringung zu protestieren, etwa weil es nur wenige Toiletten für rund 50 Menschen gab.
Bei einer Info-Veranstaltung für eine geplante Flüchtlingsunterkunft in Warngau Anfang 2024 realisiert Olaf von Löws, mittlerweile Landrat im Landkreis Miesbach, wie sich die Stimmung in der Bevölkerung verändert hat. Der Landrat trifft auf eine "laute, teils aggressive" Menge, mit der kaum noch Dialog möglich gewesen sei. Proteste gegen Flüchtlingsunterkünfte sind in Bayern kein Einzelfall. Recherchen des ARD-Magazins Kontraste zeigen im Fall Warngau: Gegen die Unterkunft wurde überregional mobilisiert. Anwesend waren auch Anhänger der rechtsextremen Szene und beeinflussten die Stimmung auf der Veranstaltung zu der Unterkunft in Warngau.
Die Stimmung verändert sich
Deutschland blickt mittlerweile nicht nur auf die Aufnahme von rund einer Million Geflüchteten um 2015 zurück, sondern auch auf eine neue Fluchtbewegung angesichts des Ukrainekriegs. Eine Stimmungsveränderung zeigt sich deutschlandweit auch in Umfragen: Im ARD-Deutschlandtrend (externer Link) vom Oktober 2015 sagte eine knappe Mehrheit der Befragten, dass sie die neuen Menschen als Bereicherung für das Leben in Deutschland empfindet. Knapp zehn Jahre später, finden das laut einer Ipsos-Studie (externer Link) nur noch 37 Prozent. Dennoch hätten sich Warngauer im Nachgang bei Olaf von Löwis für die eskalierte Bürgerversammlung entschuldigt und sich distanziert. Die Lage habe sich nun wieder beruhigt.
Integration als Daueraufgabe
Heute sieht Landrat von Löwis Integration als eine Daueraufgabe, bei der es vor allem um "Zusammenbringen und Dranbleiben" gehe. In Begegnungen zwischen Menschen mit und ohne Fluchtgeschichte hätten sich viele Vorurteile abgebaut, auch unterstützt durch eine Integrationsbeauftragte, die der Landkreis Miesbach beschäftigt.
Uwe Brandl, Präsident des Bayerischen Gemeindetags betont: Die Kommunalpolitik könne Bürgern und Bürgerinnen erklären, "dass wir helfen müssen und dass wir gleichzeitig uns aber auch bemühen müssen, nicht nur an die Geflohenen zu denken, sondern auch an die eigene Bevölkerung".
Herausforderungen für die Kommunen
Uwe Brandl schätzt die Lage in bayerischen Gemeinden trotz sinkender Asylzahlen aktuell als angespannt ein. Eine bundesweite Befragung des Berliner Sozialforschungsinstitut DESI im Frühjahr 2025 kommt jedoch zu dem Ergebnis, dass die Belastung – auch innerhalb von Bayerns Kommunen – sehr unterschiedlich ist.
Wie damit umgehen? Eine Handreichung zu dieser Befragung (externer Link), gemeinsam herausgegeben mit der Bertelsmann Stiftung, empfiehlt Kommunen etwa, eine "interkulturelle Öffnung von (Sport-)Vereinen und Freizeitangeboten" zu fördern und die "Anerkennung und Wertschätzung von freiwillig Engagierten" zu stärken.
Forderungen an den Bund
Uwe Brandl bekräftigt anlässlich zehn Jahren "Wir schaffen das" bisherige Forderungen kommunaler Spitzenverbände: etwa schnellere Arbeitsmöglichkeiten für Flüchtlinge, eine verpflichtende, gemeinnützige Arbeit für diejenigen, die Sozialleistungen beziehen und ausgebaute Sprach- und Wertevermittlungskurse, auch schon bevor ein Asylverfahren abgeschlossen ist. Außerdem müsse der bundesweite Wohnungsmangel angegangen werden, um den Konkurrenzdruck auf dem Wohnungsmarkt zu mildern.
Haben wir es geschafft?
Landrat Olaf von Löwis sagt heute rückblickend: "Nein, wir haben es noch nicht geschafft. Wir sind mittendrin." Uwe Brandl, Präsident des bayerischen Gemeindetags, kommt zu einem anderen Ergebnis und bilanziert: "Es ist uns nichts anderes übrig geblieben."
Mehr zum Thema "10 Jahre Wir schaffen das" hören Sie im BR24-Podcast "Die Entscheidung". Etwa die Geschichte eines jungen Mannes, der damals über Ungarn kam und sich später als erster syrischer Geflüchteter für den Bundestag aufstellen lassen wollte. Oder die eines Sozialarbeiters, der erst helfen möchte, sich dann zu der Partei hingezogen fühlt, die es gar nicht schaffen will – und heute nach einem AfD-Ausstieg – sagt, ohne Merkels “Wir schaffen das”, wäre er nie der Partei beigetreten.
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