Die Angehörigen von zehn deutschen mutmaßlichen IS-Gefangenen in Nordostsyrien fordern von der Bundesregierung die Rückholung der Männer nach Deutschland. Das geht aus einem offenen Brief hervor, der dem BR vorliegt. Der SWR hatte zuerst darüber berichtet. Nach Angaben der Berliner Deradikalisierungsberatungsstelle "Grüner Vogel e.V.", die die Angehörigen betreut, ging der Brief am Sonntag an Bundeskanzleramt, das Bundesinnenministerium und das Auswärtige Amt.
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Haftbedingungen "absolut katastrophal"
Zuletzt hatte das Auswärtige Amt dem SWR bestätigt, dass es inzwischen mindestens zwei Todesfälle von mutmaßlichen deutschen IS-Gefangenen gibt. In einem Fall war ein Mann 2022 an Tuberkulose gestorben. Darauf nimmt auch der dreiseitige offene Brief Bezug und verweist auf weitere Berichte von Wissenschaftlern, Journalisten und internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen.
Demnach seien die Bedingungen in den Haftanstalten "absolut katastrophal". Es gebe Folter, erniedrigende Behandlung und "fundamentale Verstöße gegen das Recht auf Gesundheit, Bildung, Gleichbehandlung und Zugang zu sauberem Wasser", wird etwa die UN-Sonderberichterstatterin Fionnuala Ní Aoláin zitiert. Angehörige in Deutschland hätten zudem erlebt, dass sie erpresst würden. Ihren Söhnen seien Nahrungsentzug und Schläge angedroht worden, sollten sich die Mütter weigern, Geld zu überweisen.
Teilweise seit Jahren kein Lebenszeichen
Die zehn Männer hätten sich in Deutschland radikalisiert, seien zwischen 2013 und 2015 nach Syrien gereist und hätten sich dann dem IS angeschlossen, heißt es in dem Brief weiter. Zwischen 2017 und Anfang 2019 gerieten sie in kurdische Gefangenschaft. Nun bestehe die Gefahr einer erneuten Radikalisierung und "schwerer gesundheitlicher und psychischer Beeinträchtigungen". Die Angehörigen hätten teils seit Jahren kein Lebenszeichen von den Männern erhalten.
Die Verfasser des Briefs richten insgesamt fünf Forderungen an die Bundesregierung: Diese solle zunächst Informationen über den Zustand der Männer bereitstellen, Druck auf das Internationale Rote Kreuz ausüben, um einen funktionierenden Briefaustausch mit den Gefangenen herzustellen und Kontakte zu Anwälten ermöglichen. In "mehreren Schritten" solle dann die Rückführung der Männer durchgeführt werden. Die betroffenen Bundesländer sollen auf Rückkehr, Strafverfolgung und Reintegration vorbereitet werden.
Bundesregierung plant keine Rückholung
Die Bundesregierung hat bisher lediglich Frauen und Kinder aus Lagern in Nordostsyrien nach Deutschland zurückgeholt, zuletzt Ende April. Eine Rückholung von Männern sei nicht geplant, teilte das Auswärtige Amt dem SWR im Mai mit.
Damit führt die neue Bundesregierung die Politik der Ampel-Regierung fort. Diese hatte in den vergangenen Jahren unter anderem mit fehlenden diplomatischen Beziehungen in das kurdische Selbstverwaltungsgebiet im Nordosten Syriens und mit Sicherheitsaspekten argumentiert. Die kurdische Selbstverwaltung selbst plädiert für eine Rückführung der Männer in deren Heimatländer, möchte diese allerdings zuvor vor Gericht stellen. Entsprechende Prozesse gab es bisher allerdings nicht.
Rund 30 deutsche ehemalige IS-Kämpfer in Gefängnissen
"Seit sechs bzw. acht Jahren warten wir nun darauf, dass Deutschland eine Entscheidung darüber trifft, wie es mit unseren inhaftierten Söhnen, Enkeln oder Brüdern weitergehen soll", heißt es in dem offenen Brief. Auf eine baldige politische und juristische Lösung in Syrien nach dem Sturz des Assad-Regimes am 8. Dezember 2024 hoffen die Angehörigen nicht.
So sei erst in vier Jahren mit einer neuen Verfassung und einer Gerichtsbarkeit mit rechtsstaatlichen Standards zu rechnen. "Letztendlich bedeutet dieses Abwarten, dass wir das eigentliche Problem aussitzen, ohne eine Entscheidung zu treffen. […] Unsere Söhne, Brüder oder Enkel haben sich in unserer deutschen Gesellschaft radikalisiert. Wir alle tragen hierfür die Verantwortung, nicht Syrien", heißt es in dem Brief.
Nach SWR-Informationen sollen sich insgesamt noch rund 30 deutsche ehemalige IS-Kämpfer in Gefängnissen im Nordosten Syriens befinden. Einer von ihnen stammt aus Bayern, wie der Bayerische Verfassungsschutz dem BR mitgeteilt hat. Insgesamt sollen es bis zu 3.000 ausländische Kämpfer sein.
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