Eine Kirchenmitgliedschaft kann weiterhin Bedingung eines kirchlichen Arbeitgebers für eine Stellenbesetzung sein, wenn "die Bedeutung für die religiöse Identität der Religionsgemeinschaft" für den Job plausibel dargelegt wird. Damit stehe sie auch nicht im Widerspruch zur europäischen Antidiskriminierungsrichtlinie. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden.
Die Reaktionen von Kirchenvertretern, Politikern und Gewerkschaften sind überwiegend positiv. Das oberste deutsche Gericht entschied in einem Rechtsstreit zwischen der konfessionslosen Sozialpädagogin, Vera Egenberger, und der evangelischen Diakonie. Im konkreten Fall habe die Diakonie "plausibel" dargelegt, warum sie für die ausgeschriebene Stelle ein christliches Profil fordere, so die Richter nun in ihrer Begründung. Egenberger hatte sich auf eine Referentenstelle bei dem Evangelischen Werk beworben.
Spannungsverhältnis zwischen EuGH und nationalem Recht
Die Diakonie wollte mit ihrem Anruf des Bundesverfassungsgerichts eine höchstrichterliche Entscheidung. Diese sorgt aus Sicht des Vorstands der Diakonie Deutschlands, Jörg Kruttschnitt, jetzt für "Klarheit". Nach Einschätzung des Vizepräsidenten der evangelischen Kirche in Deutschland Stephan Schaede haben die Richter einen "Spielraum" bestätigt, mit dem man sehr verantwortungsvoll umgehe. Das zeige schon jetzt die Mitarbeitsrichtlinie der evangelischen Kirche, die vor eineinhalb Jahren reformiert wurde. Die generelle Voraussetzung einer evangelischen Kirchenmitgliedschaft ist seitdem nur noch Voraussetzung bei Aufgaben in der Seelsorge, Verkündigung oder in der dezidiert evangelischen Bildung.
Die katholische Bischofskonferenz sieht das genauso: "Für die katholische Kirche ergibt sich aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kein Handlungsbedarf", so die unmittelbare Reaktion auf die Entscheidung des Gerichts. Im November 2022 hatte die katholische Kirche bereits ihr Arbeitsrecht reformiert. Lediglich bei Personen im pastoralen und katechetischen Dienst, etwa Pastoralreferenten und Religionslehrerinnen, sowie bei Mitarbeitenden, die das kirchliche Profil einer Einrichtung prägen, also bei Führungskräften, wird die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche verlangt.
CDU und Linke unterstützen Entscheidung
Der Religions- und Weltanschauungsbeauftragte der Bundesregierung, der CDU-Politiker Thomas Rachel, sagte, die Entscheidung entspreche "der besonderen Rolle der Kirchen in unserem Verfassungsstaat". Auch Joachim Herrmann (CSU), der als Bayerischer Innenminister für Verfassungsfragen zuständig ist, hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgericht zum religiösen Selbstbestimmungsrecht der Kirchen begrüßt. Der Religionsbeauftragte der Linken im Bundestag, Bodo Ramelow, äußerte Verständnis für den Wunsch der Kirchen, bei Stellenbesetzungen eine Religionszugehörigkeit zu verlangen. "Ich möchte auch, dass jemand, der für meine Partei oder Fraktion arbeitet, bei uns Mitglied ist", so Ramelow.
Antidiskriminierungsbeauftragte: Kirchen haben Verantwortung
Die Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, begrüßt die Entscheidung des Gerichts, dass Kirchen von Mitarbeitenden nicht per se eine Kirchenmitgliedschaft verlangen dürften. "Kirchen müssen plausibel erklären, inwiefern eine Kirchenmitgliedschaft für die Tätigkeit erforderlich ist". Die Kirchen zählten zu den größten Arbeitgebern in Deutschland und trügen eine besondere Verantwortung – auch beim Schutz vor Diskriminierung. Die Kirche dürfe "nicht einfach deshalb diskriminieren, weil sie Kirche ist", so interpretiert auch die Gewerkschaft Verdi die Bundesverfassungsgerichtsentscheidung.
Arbeitsrechtler uneins über Bewertung
Uneins in der Bewertung sind sich Arbeitsrechtler: Der Bonner Professor Gregor Thüsing bezeichnete den Richterspruch als "dogmatisch überzeugende und rechtspolitisch kluge Entscheidung". Skeptisch ist dagegen sein Kollege von der Hans-Böckler-Stiftung, Ernesto Klenge: Das Bundesverfassungsgericht habe den Rahmen, den der Europäische Gerichtshof für das kirchliche Selbstbestimmungsrecht gesetzt hat, "weit interpretiert". Man müsse nun abwarten, ob der Europäische Gerichtshof demnächst reagieren werde. Beim Europäischen Gerichtshof liegen derzeit weitere Fälle zum deutschen Sonderweg des kirchlichen Arbeitsrechts.
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